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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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ren und Damen nach der Tafel, gebildet und ge¬
mächlich, zu den Fenstern hinaus, stochern sich die
Zähne und ergötzen sich an seinen wunderlichen
Kapriolen, oder machen wohl gar auch Sonette auf
ihn, und meynen, er sey eine recht interessante
Erscheinung, wenn er nur nicht eigentlich verrückt
wäre. -- Das alte große Rache-Schwerdt haben
sie sorglich vergraben und verschüttet, und keiner
weiß den Fleck mehr, und darüber auf dem lockeren
Schutt bauen sie nun ihre Villen, Parks, Eremi¬
tagen und Wohnstuben, und meynen in ihrer ver¬
nünftigen Dummheit, der Plunder könne so fortbe¬
steh'n. Die Wälder haben sie ausgehauen, denn
sie fürchten sich vor ihnen, weil sie von der alten
Zeit zu ihnen sprechen und am Ende den Ort noch
verrathen könnten, wo das Schwerdt vergraben
liegt. -- Leontin ergriff hiebey hastig die Guitarre,
die neben ihm auf dem Rasen lag, und sang:

O könnt' ich mich niederlegen
Weit in den tiefsten Wald,
Zum Haupte den guten Degen,
Der noch von den Väteru alt!
Und dürft' von allem nichts spüren
In dieser dummen Zeit,
Was sie da unten handthieren,
Von Gott verlassen, zerstreut;
Von fürstlichen Thaten und Werken,
Von alter Ehre und Pracht,
Und was die Seele mag stärken,
Verträumend die lange Nacht!

ren und Damen nach der Tafel, gebildet und ge¬
mächlich, zu den Fenſtern hinaus, ſtochern ſich die
Zähne und ergötzen ſich an ſeinen wunderlichen
Kapriolen, oder machen wohl gar auch Sonette auf
ihn, und meynen, er ſey eine recht intereſſante
Erſcheinung, wenn er nur nicht eigentlich verrückt
wäre. — Das alte große Rache-Schwerdt haben
ſie ſorglich vergraben und verſchüttet, und keiner
weiß den Fleck mehr, und darüber auf dem lockeren
Schutt bauen ſie nun ihre Villen, Parks, Eremi¬
tagen und Wohnſtuben, und meynen in ihrer ver¬
nünftigen Dummheit, der Plunder könne ſo fortbe¬
ſteh'n. Die Wälder haben ſie ausgehauen, denn
ſie fürchten ſich vor ihnen, weil ſie von der alten
Zeit zu ihnen ſprechen und am Ende den Ort noch
verrathen könnten, wo das Schwerdt vergraben
liegt. — Leontin ergriff hiebey haſtig die Guitarre,
die neben ihm auf dem Raſen lag, und ſang:

O könnt' ich mich niederlegen
Weit in den tiefſten Wald,
Zum Haupte den guten Degen,
Der noch von den Väteru alt!
Und dürft' von allem nichts ſpüren
In dieſer dummen Zeit,
Was ſie da unten handthieren,
Von Gott verlaſſen, zerſtreut;
Von fürſtlichen Thaten und Werken,
Von alter Ehre und Pracht,
Und was die Seele mag ſtärken,
Verträumend die lange Nacht!
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[461/0467] ren und Damen nach der Tafel, gebildet und ge¬ mächlich, zu den Fenſtern hinaus, ſtochern ſich die Zähne und ergötzen ſich an ſeinen wunderlichen Kapriolen, oder machen wohl gar auch Sonette auf ihn, und meynen, er ſey eine recht intereſſante Erſcheinung, wenn er nur nicht eigentlich verrückt wäre. — Das alte große Rache-Schwerdt haben ſie ſorglich vergraben und verſchüttet, und keiner weiß den Fleck mehr, und darüber auf dem lockeren Schutt bauen ſie nun ihre Villen, Parks, Eremi¬ tagen und Wohnſtuben, und meynen in ihrer ver¬ nünftigen Dummheit, der Plunder könne ſo fortbe¬ ſteh'n. Die Wälder haben ſie ausgehauen, denn ſie fürchten ſich vor ihnen, weil ſie von der alten Zeit zu ihnen ſprechen und am Ende den Ort noch verrathen könnten, wo das Schwerdt vergraben liegt. — Leontin ergriff hiebey haſtig die Guitarre, die neben ihm auf dem Raſen lag, und ſang: O könnt' ich mich niederlegen Weit in den tiefſten Wald, Zum Haupte den guten Degen, Der noch von den Väteru alt! Und dürft' von allem nichts ſpüren In dieſer dummen Zeit, Was ſie da unten handthieren, Von Gott verlaſſen, zerſtreut; Von fürſtlichen Thaten und Werken, Von alter Ehre und Pracht, Und was die Seele mag ſtärken, Verträumend die lange Nacht!

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/467>, abgerufen am 29.04.2024.