Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

der Zeit wieder auf die Beine zu helfen, vergessen
und wie ein Kleid abstreifen, und sich dafür mit
voller, siegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte,
wenn die Gemüther auf solche Weise von den gött¬
lichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet,
erweitert, gereinigt und wahrhaft durchdrungen
würden, daß der Geist Gottes und das Große im
öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne,
dann erst wird es Zeit seyn, unmittelbar zu han¬
deln, und das alte Recht, die alte Freyheit, Ehre
und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzufüh¬
ren. Und in dieser Gesinnung bleibe ich in Deutsch¬
land und wähle nur das Kreutz zum Schwerdte.
Denn wahrlich, wie man sonst Missionnarien unter
Kannibalen aussandte, so thut es jetzt viel mehr
Noth in Europa, dem ausgebildeten Heyden¬
sitze.

Faber kam aus tiefen Gedanken zurück, als
Friedrich ausgeredet hatte. Wie ihr da so sprecht,
sagte er, ist mir gar seltsam zu Muthe. War mir
doch, als verschwände dabey die Poesie und alle
Kunst wie in der fernsten Ferne, und ich hätte mein
Leben an eine reitzende Spielerey verlohren. Denn
das Haschen der Poesie nach Aussen, das geistige
Verarbeiten und Bekümmern um das, was eben
vorgeht, das Ringen und Abarbeiten an der Zeit,
so groß und lobenswerth als Gesinnung, ist doch im¬
mer unkünstlerisch. Die Poesie mag wohl Wurzel schla¬
gen in demselben Boden der Religion und Nationa¬
lität, aber unbekümmert, bloß um ihrer himmlischen

der Zeit wieder auf die Beine zu helfen, vergeſſen
und wie ein Kleid abſtreifen, und ſich dafür mit
voller, ſiegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte,
wenn die Gemüther auf ſolche Weiſe von den gött¬
lichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet,
erweitert, gereinigt und wahrhaft durchdrungen
würden, daß der Geiſt Gottes und das Große im
öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne,
dann erſt wird es Zeit ſeyn, unmittelbar zu han¬
deln, und das alte Recht, die alte Freyheit, Ehre
und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzufüh¬
ren. Und in dieſer Geſinnung bleibe ich in Deutſch¬
land und wähle nur das Kreutz zum Schwerdte.
Denn wahrlich, wie man ſonſt Miſſionnarien unter
Kannibalen ausſandte, ſo thut es jetzt viel mehr
Noth in Europa, dem ausgebildeten Heyden¬
ſitze.

Faber kam aus tiefen Gedanken zurück, als
Friedrich ausgeredet hatte. Wie ihr da ſo ſprecht,
ſagte er, iſt mir gar ſeltſam zu Muthe. War mir
doch, als verſchwände dabey die Poeſie und alle
Kunſt wie in der fernſten Ferne, und ich hätte mein
Leben an eine reitzende Spielerey verlohren. Denn
das Haſchen der Poeſie nach Auſſen, das geiſtige
Verarbeiten und Bekümmern um das, was eben
vorgeht, das Ringen und Abarbeiten an der Zeit,
ſo groß und lobenswerth als Geſinnung, iſt doch im¬
mer unkünſtleriſch. Die Poeſie mag wohl Wurzel ſchla¬
gen in demſelben Boden der Religion und Nationa¬
lität, aber unbekümmert, bloß um ihrer himmliſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0472" n="466"/>
der Zeit wieder auf die Beine zu helfen, verge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und wie ein Kleid ab&#x017F;treifen, und &#x017F;ich dafür mit<lb/>
voller, &#x017F;iegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte,<lb/>
wenn die Gemüther auf &#x017F;olche Wei&#x017F;e von den gött¬<lb/>
lichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet,<lb/>
erweitert, gereinigt und wahrhaft durchdrungen<lb/>
würden, daß der Gei&#x017F;t Gottes und das Große im<lb/>
öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne,<lb/>
dann er&#x017F;t wird es Zeit &#x017F;eyn, unmittelbar zu han¬<lb/>
deln, und das alte Recht, die alte Freyheit, Ehre<lb/>
und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzufüh¬<lb/>
ren. Und in die&#x017F;er Ge&#x017F;innung bleibe ich in Deut&#x017F;ch¬<lb/>
land und wähle nur das Kreutz zum Schwerdte.<lb/>
Denn wahrlich, wie man &#x017F;on&#x017F;t Mi&#x017F;&#x017F;ionnarien unter<lb/>
Kannibalen aus&#x017F;andte, &#x017F;o thut es jetzt viel mehr<lb/>
Noth in Europa, dem <hi rendition="#g">ausgebildeten</hi> Heyden¬<lb/>
&#x017F;itze.</p><lb/>
          <p>Faber kam aus tiefen Gedanken zurück, als<lb/>
Friedrich ausgeredet hatte. Wie ihr da &#x017F;o &#x017F;precht,<lb/>
&#x017F;agte er, i&#x017F;t mir gar &#x017F;elt&#x017F;am zu Muthe. War mir<lb/>
doch, als ver&#x017F;chwände dabey die Poe&#x017F;ie und alle<lb/>
Kun&#x017F;t wie in der fern&#x017F;ten Ferne, und ich hätte mein<lb/>
Leben an eine reitzende Spielerey verlohren. Denn<lb/>
das Ha&#x017F;chen der Poe&#x017F;ie nach Au&#x017F;&#x017F;en, das gei&#x017F;tige<lb/>
Verarbeiten und Bekümmern um das, was eben<lb/>
vorgeht, das Ringen und Abarbeiten an der Zeit,<lb/>
&#x017F;o groß und lobenswerth als Ge&#x017F;innung, i&#x017F;t doch im¬<lb/>
mer unkün&#x017F;tleri&#x017F;ch. Die Poe&#x017F;ie mag wohl Wurzel &#x017F;chla¬<lb/>
gen in <hi rendition="#g">dem&#x017F;elben</hi> Boden der Religion und Nationa¬<lb/>
lität, aber unbekümmert, bloß um ihrer himmli&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[466/0472] der Zeit wieder auf die Beine zu helfen, vergeſſen und wie ein Kleid abſtreifen, und ſich dafür mit voller, ſiegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte, wenn die Gemüther auf ſolche Weiſe von den gött¬ lichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet, erweitert, gereinigt und wahrhaft durchdrungen würden, daß der Geiſt Gottes und das Große im öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne, dann erſt wird es Zeit ſeyn, unmittelbar zu han¬ deln, und das alte Recht, die alte Freyheit, Ehre und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzufüh¬ ren. Und in dieſer Geſinnung bleibe ich in Deutſch¬ land und wähle nur das Kreutz zum Schwerdte. Denn wahrlich, wie man ſonſt Miſſionnarien unter Kannibalen ausſandte, ſo thut es jetzt viel mehr Noth in Europa, dem ausgebildeten Heyden¬ ſitze. Faber kam aus tiefen Gedanken zurück, als Friedrich ausgeredet hatte. Wie ihr da ſo ſprecht, ſagte er, iſt mir gar ſeltſam zu Muthe. War mir doch, als verſchwände dabey die Poeſie und alle Kunſt wie in der fernſten Ferne, und ich hätte mein Leben an eine reitzende Spielerey verlohren. Denn das Haſchen der Poeſie nach Auſſen, das geiſtige Verarbeiten und Bekümmern um das, was eben vorgeht, das Ringen und Abarbeiten an der Zeit, ſo groß und lobenswerth als Geſinnung, iſt doch im¬ mer unkünſtleriſch. Die Poeſie mag wohl Wurzel ſchla¬ gen in demſelben Boden der Religion und Nationa¬ lität, aber unbekümmert, bloß um ihrer himmliſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/472
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/472>, abgerufen am 29.04.2024.