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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Schönheit willen, als Wunderblume zu uns her¬
aufwachsen. Sie will und soll zu nichts brauch¬
bar
seyn. Aber das versteht ihr nicht, und macht
mich nur irre. Ein fröhlicher Künstler mag sich vor
Euch hüten. Denn wer die Gegenwart aufgiebt,
wie Friedrich, wem die frische Lust am Leben und
seinem überschwenglichen Reichthume gebrochen ist,
mit dessen Poesie ist es aus. Er ist wie ein Mah¬
ler ohne Farben.

Friedrich, den die Zurückrufung der großen
Bilder seiner Hoffnungen innerlichst fröhlich gemacht
hatte, nahm statt aller Antwort die Guitarre, und
sang nach einer alten, schlichten Melodie:

Wo treues Wollen, redlich Streben
Und rechter Sinn der Rechte spürt,
Da muß die Seele ihm erheben,
Das hat mich jedesmal gerührt.
Das Reich des Glaubens ist geendet,
Zerstört die alte Herrlichkeit,
Die Schönheit weinend abgewendet,
So Gnadenlos ist unsre Zeit.
O Einfalt gut in frommen Herzen,
Du züchtig schöne Gottesbraut!
Dich schlugen sie mit frechen Scherzen,
Weil Dir vor ihrer Klugheit graut.
Wo find'st Du nun ein Haus, vertrieben,
Wo man Dir deine Wunder läßt,
Das treue Thun, das schöne Lieben,
Des Lebens fromm vergnüglich Fest?
30 *

Schönheit willen, als Wunderblume zu uns her¬
aufwachſen. Sie will und ſoll zu nichts brauch¬
bar
ſeyn. Aber das verſteht ihr nicht, und macht
mich nur irre. Ein fröhlicher Künſtler mag ſich vor
Euch hüten. Denn wer die Gegenwart aufgiebt,
wie Friedrich, wem die friſche Luſt am Leben und
ſeinem überſchwenglichen Reichthume gebrochen iſt,
mit deſſen Poeſie iſt es aus. Er iſt wie ein Mah¬
ler ohne Farben.

Friedrich, den die Zurückrufung der großen
Bilder ſeiner Hoffnungen innerlichſt fröhlich gemacht
hatte, nahm ſtatt aller Antwort die Guitarre, und
ſang nach einer alten, ſchlichten Melodie:

Wo treues Wollen, redlich Streben
Und rechter Sinn der Rechte ſpürt,
Da muß die Seele ihm erheben,
Das hat mich jedesmal gerührt.
Das Reich des Glaubens iſt geendet,
Zerſtört die alte Herrlichkeit,
Die Schönheit weinend abgewendet,
So Gnadenlos iſt unſre Zeit.
O Einfalt gut in frommen Herzen,
Du züchtig ſchöne Gottesbraut!
Dich ſchlugen ſie mit frechen Scherzen,
Weil Dir vor ihrer Klugheit graut.
Wo find'ſt Du nun ein Haus, vertrieben,
Wo man Dir deine Wunder läßt,
Das treue Thun, das ſchöne Lieben,
Des Lebens fromm vergnüglich Feſt?
30 *
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[467/0473] Schönheit willen, als Wunderblume zu uns her¬ aufwachſen. Sie will und ſoll zu nichts brauch¬ bar ſeyn. Aber das verſteht ihr nicht, und macht mich nur irre. Ein fröhlicher Künſtler mag ſich vor Euch hüten. Denn wer die Gegenwart aufgiebt, wie Friedrich, wem die friſche Luſt am Leben und ſeinem überſchwenglichen Reichthume gebrochen iſt, mit deſſen Poeſie iſt es aus. Er iſt wie ein Mah¬ ler ohne Farben. Friedrich, den die Zurückrufung der großen Bilder ſeiner Hoffnungen innerlichſt fröhlich gemacht hatte, nahm ſtatt aller Antwort die Guitarre, und ſang nach einer alten, ſchlichten Melodie: Wo treues Wollen, redlich Streben Und rechter Sinn der Rechte ſpürt, Da muß die Seele ihm erheben, Das hat mich jedesmal gerührt. Das Reich des Glaubens iſt geendet, Zerſtört die alte Herrlichkeit, Die Schönheit weinend abgewendet, So Gnadenlos iſt unſre Zeit. O Einfalt gut in frommen Herzen, Du züchtig ſchöne Gottesbraut! Dich ſchlugen ſie mit frechen Scherzen, Weil Dir vor ihrer Klugheit graut. Wo find'ſt Du nun ein Haus, vertrieben, Wo man Dir deine Wunder läßt, Das treue Thun, das ſchöne Lieben, Des Lebens fromm vergnüglich Feſt? 30 *

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/473>, abgerufen am 29.04.2024.