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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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wecken, fuhr er dringender fort, was in Dir ver¬
zweifelt und gebunden ringt! Hast Du doch selber
erzählt, daß Dich alle wissenschaftliche Philosophie
nicht befriedigte, daß Du darin Gott und Dich nie
erkanntest. So wende Dich denn zur Religion zu¬
rück, wo Gott selber unmittelbar zu Dir spricht,
Dich stärkt, belehrt und tröstet! -- Du meynst es
gut, sagte Rudolph finster, aber das ist es eben in
mir: ich kann nicht glauben. Und da mich denn
der Himmel nicht mag, so will ich mich der Ma¬
gie ergeben. Ich gehe nach Aegypten, dem Lande
der alten Wunder. -- Hiemit drückte er seinem
Bruder schnell die Hand und gieng mit großen
Schritten in den Wald hinein. Sie sahen ihn
nicht mehr wieder.

Lange blickten sie ihm nach und bedauerten den
unglücklich verwirrten, als ein Schiffer ankam, um
Leontinen an die Abfarth zu mahnen, indem so
eben ein günstiger Wind vom Lande trieb. Alle
sahen einander stillschweigend an und schienen er¬
schrocken, da nun der Augenblick wirklich da war,
den sie selber lange vorbereitet hatten.

Der Schiffer übernahm das wenige Gepäck,
und sie machten sich sogleich auf den Weg nach dem

wecken, fuhr er dringender fort, was in Dir ver¬
zweifelt und gebunden ringt! Haſt Du doch ſelber
erzählt, daß Dich alle wiſſenſchaftliche Philoſophie
nicht befriedigte, daß Du darin Gott und Dich nie
erkannteſt. So wende Dich denn zur Religion zu¬
rück, wo Gott ſelber unmittelbar zu Dir ſpricht,
Dich ſtärkt, belehrt und tröſtet! — Du meynſt es
gut, ſagte Rudolph finſter, aber das iſt es eben in
mir: ich kann nicht glauben. Und da mich denn
der Himmel nicht mag, ſo will ich mich der Ma¬
gie ergeben. Ich gehe nach Aegypten, dem Lande
der alten Wunder. — Hiemit drückte er ſeinem
Bruder ſchnell die Hand und gieng mit großen
Schritten in den Wald hinein. Sie ſahen ihn
nicht mehr wieder.

Lange blickten ſie ihm nach und bedauerten den
unglücklich verwirrten, als ein Schiffer ankam, um
Leontinen an die Abfarth zu mahnen, indem ſo
eben ein günſtiger Wind vom Lande trieb. Alle
ſahen einander ſtillſchweigend an und ſchienen er¬
ſchrocken, da nun der Augenblick wirklich da war,
den ſie ſelber lange vorbereitet hatten.

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[472/0478] wecken, fuhr er dringender fort, was in Dir ver¬ zweifelt und gebunden ringt! Haſt Du doch ſelber erzählt, daß Dich alle wiſſenſchaftliche Philoſophie nicht befriedigte, daß Du darin Gott und Dich nie erkannteſt. So wende Dich denn zur Religion zu¬ rück, wo Gott ſelber unmittelbar zu Dir ſpricht, Dich ſtärkt, belehrt und tröſtet! — Du meynſt es gut, ſagte Rudolph finſter, aber das iſt es eben in mir: ich kann nicht glauben. Und da mich denn der Himmel nicht mag, ſo will ich mich der Ma¬ gie ergeben. Ich gehe nach Aegypten, dem Lande der alten Wunder. — Hiemit drückte er ſeinem Bruder ſchnell die Hand und gieng mit großen Schritten in den Wald hinein. Sie ſahen ihn nicht mehr wieder. Lange blickten ſie ihm nach und bedauerten den unglücklich verwirrten, als ein Schiffer ankam, um Leontinen an die Abfarth zu mahnen, indem ſo eben ein günſtiger Wind vom Lande trieb. Alle ſahen einander ſtillſchweigend an und ſchienen er¬ ſchrocken, da nun der Augenblick wirklich da war, den ſie ſelber lange vorbereitet hatten. Der Schiffer übernahm das wenige Gepäck, und ſie machten ſich ſogleich auf den Weg nach dem

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/478>, abgerufen am 29.04.2024.