Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

pen gerissen, so eine, von aller Welt ausgeklatschte
Creatur!

Aber Otto hörte nicht mehr, er war rasch aufge¬
standen, und schritt zürnend in den nächtlichen Garten
hinein. Walter, in sichtbarer Verlegenheit, wollte ihm
folgen, wurde aber von Fortunat aufgehalten, der ihn
schnell in einen Seitengang führte. Sage doch nur,
fragte er Waltern, was giebt's denn eigentlich hier,
und wo willst du hin? -- Den Gekränkten trösten,
erwiederte Walter, und -- vermag ich's sonst -- ihm
auch den Kopf ein wenig zurechtsetzen. Komm' mit! --
Das laß' ich wohl bleiben, rief Fortunat aus, ich bin
froh, wenn mir mein eigner Kopf zuweilen noch so
leidlich sitzt. -- Mein Vorhaben, sagte Walter, ist
wahrhaftig edler, als es dir, nach deinem ironischen
Gesicht, auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag.
Denke dir nur recht diesen stillbeschränkten, heiteren
Familienkreis, dessen ganzes Trachten und Hoffen auf
den einzigen Jüngling gerichtet ist, der auf der Schule
immer für den aufgewecktesten und geschicktesten galt.
Und nun kehrt er von der Universität zurück, verwan¬
delt, träumerisch in sich gekehrt, unlustig zu jeder tüch¬
tigen Arbeit, und einer verworrenen Welt von aus¬
schweifenden Gedanken und Wünschen nachhängend,
um -- wie ich fürchte -- dereinst zu spät von der
grausamsten Täuschung zu erwachen, und ein verlornes
Leben zu bereuen. Nein, ich will es endlich versuchen,

pen geriſſen, ſo eine, von aller Welt ausgeklatſchte
Creatur!

Aber Otto hoͤrte nicht mehr, er war raſch aufge¬
ſtanden, und ſchritt zuͤrnend in den naͤchtlichen Garten
hinein. Walter, in ſichtbarer Verlegenheit, wollte ihm
folgen, wurde aber von Fortunat aufgehalten, der ihn
ſchnell in einen Seitengang fuͤhrte. Sage doch nur,
fragte er Waltern, was giebt's denn eigentlich hier,
und wo willſt du hin? — Den Gekraͤnkten troͤſten,
erwiederte Walter, und — vermag ich's ſonſt — ihm
auch den Kopf ein wenig zurechtſetzen. Komm' mit! —
Das laß' ich wohl bleiben, rief Fortunat aus, ich bin
froh, wenn mir mein eigner Kopf zuweilen noch ſo
leidlich ſitzt. — Mein Vorhaben, ſagte Walter, iſt
wahrhaftig edler, als es dir, nach deinem ironiſchen
Geſicht, auf den erſten Blick vielleicht erſcheinen mag.
Denke dir nur recht dieſen ſtillbeſchraͤnkten, heiteren
Familienkreis, deſſen ganzes Trachten und Hoffen auf
den einzigen Juͤngling gerichtet iſt, der auf der Schule
immer fuͤr den aufgeweckteſten und geſchickteſten galt.
Und nun kehrt er von der Univerſitaͤt zuruͤck, verwan¬
delt, traͤumeriſch in ſich gekehrt, unluſtig zu jeder tuͤch¬
tigen Arbeit, und einer verworrenen Welt von aus¬
ſchweifenden Gedanken und Wuͤnſchen nachhaͤngend,
um — wie ich fuͤrchte — dereinſt zu ſpaͤt von der
grauſamſten Taͤuſchung zu erwachen, und ein verlornes
Leben zu bereuen. Nein, ich will es endlich verſuchen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0052" n="45"/>
pen geri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o eine, von aller Welt ausgeklat&#x017F;chte<lb/>
Creatur!</p><lb/>
          <p>Aber Otto ho&#x0364;rte nicht mehr, er war ra&#x017F;ch aufge¬<lb/>
&#x017F;tanden, und &#x017F;chritt zu&#x0364;rnend in den na&#x0364;chtlichen Garten<lb/>
hinein. Walter, in &#x017F;ichtbarer Verlegenheit, wollte ihm<lb/>
folgen, wurde aber von Fortunat aufgehalten, der ihn<lb/>
&#x017F;chnell in einen Seitengang fu&#x0364;hrte. Sage doch nur,<lb/>
fragte er Waltern, was giebt's denn eigentlich hier,<lb/>
und wo will&#x017F;t du hin? &#x2014; Den Gekra&#x0364;nkten tro&#x0364;&#x017F;ten,<lb/>
erwiederte Walter, und &#x2014; vermag ich's &#x017F;on&#x017F;t &#x2014; ihm<lb/>
auch den Kopf ein wenig zurecht&#x017F;etzen. Komm' mit! &#x2014;<lb/>
Das laß' ich wohl bleiben, rief Fortunat aus, ich bin<lb/>
froh, wenn mir mein eigner Kopf zuweilen noch &#x017F;o<lb/>
leidlich &#x017F;itzt. &#x2014; Mein Vorhaben, &#x017F;agte Walter, i&#x017F;t<lb/>
wahrhaftig edler, als es dir, nach deinem ironi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;icht, auf den er&#x017F;ten Blick vielleicht er&#x017F;cheinen mag.<lb/>
Denke dir nur recht die&#x017F;en &#x017F;tillbe&#x017F;chra&#x0364;nkten, heiteren<lb/>
Familienkreis, de&#x017F;&#x017F;en ganzes Trachten und Hoffen auf<lb/>
den einzigen Ju&#x0364;ngling gerichtet i&#x017F;t, der auf der Schule<lb/>
immer fu&#x0364;r den aufgeweckte&#x017F;ten und ge&#x017F;chickte&#x017F;ten galt.<lb/>
Und nun kehrt er von der Univer&#x017F;ita&#x0364;t zuru&#x0364;ck, verwan¬<lb/>
delt, tra&#x0364;umeri&#x017F;ch in &#x017F;ich gekehrt, unlu&#x017F;tig zu jeder tu&#x0364;ch¬<lb/>
tigen Arbeit, und einer verworrenen Welt von aus¬<lb/>
&#x017F;chweifenden Gedanken und Wu&#x0364;n&#x017F;chen nachha&#x0364;ngend,<lb/>
um &#x2014; wie ich fu&#x0364;rchte &#x2014; derein&#x017F;t zu &#x017F;pa&#x0364;t von der<lb/>
grau&#x017F;am&#x017F;ten Ta&#x0364;u&#x017F;chung zu erwachen, und ein verlornes<lb/>
Leben zu bereuen. Nein, ich will es endlich ver&#x017F;uchen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0052] pen geriſſen, ſo eine, von aller Welt ausgeklatſchte Creatur! Aber Otto hoͤrte nicht mehr, er war raſch aufge¬ ſtanden, und ſchritt zuͤrnend in den naͤchtlichen Garten hinein. Walter, in ſichtbarer Verlegenheit, wollte ihm folgen, wurde aber von Fortunat aufgehalten, der ihn ſchnell in einen Seitengang fuͤhrte. Sage doch nur, fragte er Waltern, was giebt's denn eigentlich hier, und wo willſt du hin? — Den Gekraͤnkten troͤſten, erwiederte Walter, und — vermag ich's ſonſt — ihm auch den Kopf ein wenig zurechtſetzen. Komm' mit! — Das laß' ich wohl bleiben, rief Fortunat aus, ich bin froh, wenn mir mein eigner Kopf zuweilen noch ſo leidlich ſitzt. — Mein Vorhaben, ſagte Walter, iſt wahrhaftig edler, als es dir, nach deinem ironiſchen Geſicht, auf den erſten Blick vielleicht erſcheinen mag. Denke dir nur recht dieſen ſtillbeſchraͤnkten, heiteren Familienkreis, deſſen ganzes Trachten und Hoffen auf den einzigen Juͤngling gerichtet iſt, der auf der Schule immer fuͤr den aufgeweckteſten und geſchickteſten galt. Und nun kehrt er von der Univerſitaͤt zuruͤck, verwan¬ delt, traͤumeriſch in ſich gekehrt, unluſtig zu jeder tuͤch¬ tigen Arbeit, und einer verworrenen Welt von aus¬ ſchweifenden Gedanken und Wuͤnſchen nachhaͤngend, um — wie ich fuͤrchte — dereinſt zu ſpaͤt von der grauſamſten Taͤuſchung zu erwachen, und ein verlornes Leben zu bereuen. Nein, ich will es endlich verſuchen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/52
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/52>, abgerufen am 30.04.2024.