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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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und das Volk lassen um das Publikum, und das Rau¬
schen der Wälder um eure Triller und Sentenzen?
Geht hinunter und weint um Hekuba, wenn ihr nicht
über eure eigne Misere weinen könnt! -- Hier sah er
erst seine Zuhörer einen nach dem andern genauer an.
Entsetzlich, sagte er nach einer kurzen Pause zu Rup¬
recht, du schaust wie ein brennender Busch aus --
Und du, idealer, blaßverwaschener Musen-Bräutigam,
redest du jede Magd noch Jungfrau an, und forderst
den Stiefelknecht in Jamben? -- Aber dich, Barbar,
der in Blut watet, und von den Thränen des Publi¬
kums lebt, dich erkannt' ich gleich an der rothen, tyran¬
nischen Stirne wieder! -- Jetzt wurde er plötzlich auch
Lothario'n gewahr, er stutzte, und wie ein Morgen¬
leuchten überflog es sein ganzes Gesicht, dann warf er
schnell das Dachfenster zu. -- Lothario aber hatte
unterdeß schon die morsche Thür eingerannt, und über
die umgeworfenen Stühle, womit sie verrammelt war,
das Zimmer erreicht.

Als die Uebrigen eintraten, fanden sie Beide in
einem leisen, heftigen Gespräch, das Laub vor dem
Hause verbreitete eine wunderbare grüne Dämmerung
über die kleine Stube, durch's offene Fenster hörte man
den mehrstimmigen Gesang der zurückgebliebenen Schau¬
spieler von unten heraufschallen:

Wir wandern wohl heut noch weit.
Wie das Waldhorn schallt!

und das Volk laſſen um das Publikum, und das Rau¬
ſchen der Waͤlder um eure Triller und Sentenzen?
Geht hinunter und weint um Hekuba, wenn ihr nicht
uͤber eure eigne Miſere weinen koͤnnt! — Hier ſah er
erſt ſeine Zuhoͤrer einen nach dem andern genauer an.
Entſetzlich, ſagte er nach einer kurzen Pauſe zu Rup¬
recht, du ſchauſt wie ein brennender Buſch aus —
Und du, idealer, blaßverwaſchener Muſen-Braͤutigam,
redeſt du jede Magd noch Jungfrau an, und forderſt
den Stiefelknecht in Jamben? — Aber dich, Barbar,
der in Blut watet, und von den Thraͤnen des Publi¬
kums lebt, dich erkannt' ich gleich an der rothen, tyran¬
niſchen Stirne wieder! — Jetzt wurde er ploͤtzlich auch
Lothario'n gewahr, er ſtutzte, und wie ein Morgen¬
leuchten uͤberflog es ſein ganzes Geſicht, dann warf er
ſchnell das Dachfenſter zu. — Lothario aber hatte
unterdeß ſchon die morſche Thuͤr eingerannt, und uͤber
die umgeworfenen Stuͤhle, womit ſie verrammelt war,
das Zimmer erreicht.

Als die Uebrigen eintraten, fanden ſie Beide in
einem leiſen, heftigen Geſpraͤch, das Laub vor dem
Hauſe verbreitete eine wunderbare gruͤne Daͤmmerung
uͤber die kleine Stube, durch's offene Fenſter hoͤrte man
den mehrſtimmigen Geſang der zuruͤckgebliebenen Schau¬
ſpieler von unten heraufſchallen:

Wir wandern wohl heut noch weit.
Wie das Waldhorn ſchallt!
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[80/0087] und das Volk laſſen um das Publikum, und das Rau¬ ſchen der Waͤlder um eure Triller und Sentenzen? Geht hinunter und weint um Hekuba, wenn ihr nicht uͤber eure eigne Miſere weinen koͤnnt! — Hier ſah er erſt ſeine Zuhoͤrer einen nach dem andern genauer an. Entſetzlich, ſagte er nach einer kurzen Pauſe zu Rup¬ recht, du ſchauſt wie ein brennender Buſch aus — Und du, idealer, blaßverwaſchener Muſen-Braͤutigam, redeſt du jede Magd noch Jungfrau an, und forderſt den Stiefelknecht in Jamben? — Aber dich, Barbar, der in Blut watet, und von den Thraͤnen des Publi¬ kums lebt, dich erkannt' ich gleich an der rothen, tyran¬ niſchen Stirne wieder! — Jetzt wurde er ploͤtzlich auch Lothario'n gewahr, er ſtutzte, und wie ein Morgen¬ leuchten uͤberflog es ſein ganzes Geſicht, dann warf er ſchnell das Dachfenſter zu. — Lothario aber hatte unterdeß ſchon die morſche Thuͤr eingerannt, und uͤber die umgeworfenen Stuͤhle, womit ſie verrammelt war, das Zimmer erreicht. Als die Uebrigen eintraten, fanden ſie Beide in einem leiſen, heftigen Geſpraͤch, das Laub vor dem Hauſe verbreitete eine wunderbare gruͤne Daͤmmerung uͤber die kleine Stube, durch's offene Fenſter hoͤrte man den mehrſtimmigen Geſang der zuruͤckgebliebenen Schau¬ ſpieler von unten heraufſchallen: Wir wandern wohl heut noch weit. Wie das Waldhorn ſchallt!

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/87>, abgerufen am 30.04.2024.