welche die verkleidete Flora stündlich erwarteten, und mit mehr Diensteifer als Scharfsinn Dich für das Fräulein hielten. Selbst hier auf dem Schlosse glaubte man, daß Flora auf dem Felsen wohne, man erkundigte sich, man schrieb an sie -- hast Du nicht ein Briefchen erhalten?" -- Bei diesen Worten fuhr ich blitzschnell mit dem Zettel aus der Tasche. -- "Also dieser Brief?" -- "Ist an mich," sagte Fräulein Flora, die bisher auf unsre Rede gar nicht Acht zu geben schien, riß mir den Zettel rasch aus der Hand, überlas ihn und steckte ihn dann in den Busen. -- "Und nun," sagte Herr Leonhard, "müssen wir schnell in das Schloß, da wartet schon Alles auf uns. Also zum Schluß, wie sich's von selbst versteht und einem wohlerzognen Romane ge¬ bührt: Entdeckung, Reue, Versöhnung, wir sind alle wieder lustig beisammen, und übermorgen ist Hochzeit!"
Da er noch so sprach, erhob sich plötzlich in dem Gebüsch ein rasender Spektakel von Pauken und Trom¬ peten, Hörnern und Posaunen; Böller wurden dazwi¬ schen gelöst und Vivat gerufen, die kleinen Mädchen tanzten von neuem, und aus allen Sträuchern kam ein Kopf über dem andern hervor, als wenn sie aus der Erde wüchsen. Ich sprang in dem Geschwirre und Geschleife Ellenhoch von einer Seite zur andern, da es aber schon dunkel wurde, erkannte ich erst nach und nach alle die alten Gesichter wieder. Der alte Gärt¬ ner schlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren Mänteln musizirten mitten darunter, neben ihnen fin¬ gerte der Portier wie toll auf seinem Fagott. Wie ich
welche die verkleidete Flora ſtuͤndlich erwarteten, und mit mehr Dienſteifer als Scharfſinn Dich fuͤr das Fraͤulein hielten. Selbſt hier auf dem Schloſſe glaubte man, daß Flora auf dem Felſen wohne, man erkundigte ſich, man ſchrieb an ſie — haſt Du nicht ein Briefchen erhalten?“ — Bei dieſen Worten fuhr ich blitzſchnell mit dem Zettel aus der Taſche. — „Alſo dieſer Brief?“ — „Iſt an mich,“ ſagte Fraͤulein Flora, die bisher auf unſre Rede gar nicht Acht zu geben ſchien, riß mir den Zettel raſch aus der Hand, uͤberlas ihn und ſteckte ihn dann in den Buſen. — „Und nun,“ ſagte Herr Leonhard, „muͤſſen wir ſchnell in das Schloß, da wartet ſchon Alles auf uns. Alſo zum Schluß, wie ſich's von ſelbſt verſteht und einem wohlerzognen Romane ge¬ buͤhrt: Entdeckung, Reue, Verſoͤhnung, wir ſind alle wieder luſtig beiſammen, und uͤbermorgen iſt Hochzeit!“
Da er noch ſo ſprach, erhob ſich ploͤtzlich in dem Gebuͤſch ein raſender Spektakel von Pauken und Trom¬ peten, Hoͤrnern und Poſaunen; Boͤller wurden dazwi¬ ſchen geloͤſt und Vivat gerufen, die kleinen Maͤdchen tanzten von neuem, und aus allen Straͤuchern kam ein Kopf uͤber dem andern hervor, als wenn ſie aus der Erde wuͤchſen. Ich ſprang in dem Geſchwirre und Geſchleife Ellenhoch von einer Seite zur andern, da es aber ſchon dunkel wurde, erkannte ich erſt nach und nach alle die alten Geſichter wieder. Der alte Gaͤrt¬ ner ſchlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren Maͤnteln muſizirten mitten darunter, neben ihnen fin¬ gerte der Portier wie toll auf ſeinem Fagott. Wie ich
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welche die verkleidete Flora ſtuͤndlich erwarteten, und
mit mehr Dienſteifer als Scharfſinn Dich fuͤr das
Fraͤulein hielten. Selbſt hier auf dem Schloſſe glaubte
man, daß Flora auf dem Felſen wohne, man erkundigte
ſich, man ſchrieb an ſie — haſt Du nicht ein Briefchen
erhalten?“ — Bei dieſen Worten fuhr ich blitzſchnell
mit dem Zettel aus der Taſche. — „Alſo dieſer Brief?“ —
„Iſt an mich,“ ſagte Fraͤulein Flora, die bisher auf
unſre Rede gar nicht Acht zu geben ſchien, riß mir
den Zettel raſch aus der Hand, uͤberlas ihn und ſteckte
ihn dann in den Buſen. — „Und nun,“ ſagte Herr
Leonhard, „muͤſſen wir ſchnell in das Schloß, da wartet
ſchon Alles auf uns. Alſo zum Schluß, wie ſich's von
ſelbſt verſteht und einem wohlerzognen Romane ge¬
buͤhrt: Entdeckung, Reue, Verſoͤhnung, wir ſind alle
wieder luſtig beiſammen, und uͤbermorgen iſt Hochzeit!“
Da er noch ſo ſprach, erhob ſich ploͤtzlich in dem
Gebuͤſch ein raſender Spektakel von Pauken und Trom¬
peten, Hoͤrnern und Poſaunen; Boͤller wurden dazwi¬
ſchen geloͤſt und Vivat gerufen, die kleinen Maͤdchen
tanzten von neuem, und aus allen Straͤuchern kam ein
Kopf uͤber dem andern hervor, als wenn ſie aus der
Erde wuͤchſen. Ich ſprang in dem Geſchwirre und
Geſchleife Ellenhoch von einer Seite zur andern, da
es aber ſchon dunkel wurde, erkannte ich erſt nach und
nach alle die alten Geſichter wieder. Der alte Gaͤrt¬
ner ſchlug die Pauken, die Prager Studenten in ihren
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/142>, abgerufen am 16.06.2024.
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