Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

sie sich nicht wenig, als sie oben das leere Nest sahen.
Niemand wußte etwas von meinen Herren. Nur die
eine Magd -- wie ich aus ihren Zeichen und Gestiku¬
lationen zusammenbringen konnte -- hatte bemerkt,
daß der Herr Guido, als er gestern Abends auf dem
Balkon sang, auf einmal laut aufschrie, und dann ge¬
schwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zurück¬
stürzte. Als sie hernach in der Nacht einmal auf¬
wachte, hörte sie draußen Pferdegetrappel. Sie guckte
durch das kleine Kammerfenster und sah den bucklich¬
ten Signor, der gestern so viel mit mir gesprochen
hatte, auf einem Schimmel im Mondschein quer übers
Feld gallopiren, daß er immer Ellen hoch überm Sattel
in die Höhe flog und die Magd sich bekreuzte, weil es
aussah, wie ein Gespenst, das auf einem dreibeinigen
Pferde reitet. -- Da wußt' ich nun gar nicht, was
ich machen sollte.

Unterdeß aber stand unser Wagen schon lange vor
der Thüre angespannt und der Postillon stieß ungedul¬
dig ins Horn, daß er hätte bersten mögen, denn er
mußte zur bestimmten Stunde auf der nächsten Sta¬
tion seyn, da alles durch Laufzettel bis auf die Minute
voraus bestellt war. Ich rannte noch einmal um das
ganze Haus herum und rief die Maler, aber Niemand
gab Antwort, die Leute aus dem Hause liefen zusam¬
men und gafften mich an, der Postillon fluchte, die
Pferde schnaubten, ich, ganz verblüfft, springe endlich
geschwind in den Wagen hinein, der Hausknecht schlägt

ſie ſich nicht wenig, als ſie oben das leere Neſt ſahen.
Niemand wußte etwas von meinen Herren. Nur die
eine Magd — wie ich aus ihren Zeichen und Geſtiku¬
lationen zuſammenbringen konnte — hatte bemerkt,
daß der Herr Guido, als er geſtern Abends auf dem
Balkon ſang, auf einmal laut aufſchrie, und dann ge¬
ſchwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zuruͤck¬
ſtuͤrzte. Als ſie hernach in der Nacht einmal auf¬
wachte, hoͤrte ſie draußen Pferdegetrappel. Sie guckte
durch das kleine Kammerfenſter und ſah den bucklich¬
ten Signor, der geſtern ſo viel mit mir geſprochen
hatte, auf einem Schimmel im Mondſchein quer uͤbers
Feld gallopiren, daß er immer Ellen hoch uͤberm Sattel
in die Hoͤhe flog und die Magd ſich bekreuzte, weil es
ausſah, wie ein Geſpenſt, das auf einem dreibeinigen
Pferde reitet. — Da wußt' ich nun gar nicht, was
ich machen ſollte.

Unterdeß aber ſtand unſer Wagen ſchon lange vor
der Thuͤre angeſpannt und der Poſtillon ſtieß ungedul¬
dig ins Horn, daß er haͤtte berſten moͤgen, denn er
mußte zur beſtimmten Stunde auf der naͤchſten Sta¬
tion ſeyn, da alles durch Laufzettel bis auf die Minute
voraus beſtellt war. Ich rannte noch einmal um das
ganze Haus herum und rief die Maler, aber Niemand
gab Antwort, die Leute aus dem Hauſe liefen zuſam¬
men und gafften mich an, der Poſtillon fluchte, die
Pferde ſchnaubten, ich, ganz verbluͤfft, ſpringe endlich
geſchwind in den Wagen hinein, der Hausknecht ſchlaͤgt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="59"/>
&#x017F;ie &#x017F;ich nicht wenig, als &#x017F;ie oben das leere Ne&#x017F;t &#x017F;ahen.<lb/>
Niemand wußte etwas von meinen Herren. Nur die<lb/>
eine Magd &#x2014; wie ich aus ihren Zeichen und Ge&#x017F;tiku¬<lb/>
lationen zu&#x017F;ammenbringen konnte &#x2014; hatte bemerkt,<lb/>
daß der Herr Guido, als er ge&#x017F;tern Abends auf dem<lb/>
Balkon &#x017F;ang, auf einmal laut auf&#x017F;chrie, und dann ge¬<lb/>
&#x017F;chwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zuru&#x0364;ck¬<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzte. Als &#x017F;ie hernach in der Nacht einmal auf¬<lb/>
wachte, ho&#x0364;rte &#x017F;ie draußen Pferdegetrappel. Sie guckte<lb/>
durch das kleine Kammerfen&#x017F;ter und &#x017F;ah den bucklich¬<lb/>
ten Signor, der ge&#x017F;tern &#x017F;o viel mit mir ge&#x017F;prochen<lb/>
hatte, auf einem Schimmel im Mond&#x017F;chein quer u&#x0364;bers<lb/>
Feld gallopiren, daß er immer Ellen hoch u&#x0364;berm Sattel<lb/>
in die Ho&#x0364;he flog und die Magd &#x017F;ich bekreuzte, weil es<lb/>
aus&#x017F;ah, wie ein Ge&#x017F;pen&#x017F;t, das auf einem dreibeinigen<lb/>
Pferde reitet. &#x2014; Da wußt' ich nun gar nicht, was<lb/>
ich machen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Unterdeß aber &#x017F;tand un&#x017F;er Wagen &#x017F;chon lange vor<lb/>
der Thu&#x0364;re ange&#x017F;pannt und der Po&#x017F;tillon &#x017F;tieß ungedul¬<lb/>
dig ins Horn, daß er ha&#x0364;tte ber&#x017F;ten mo&#x0364;gen, denn er<lb/>
mußte zur be&#x017F;timmten Stunde auf der na&#x0364;ch&#x017F;ten Sta¬<lb/>
tion &#x017F;eyn, da alles durch Laufzettel bis auf die Minute<lb/>
voraus be&#x017F;tellt war. Ich rannte noch einmal um das<lb/>
ganze Haus herum und rief die Maler, aber Niemand<lb/>
gab Antwort, die Leute aus dem Hau&#x017F;e liefen zu&#x017F;am¬<lb/>
men und gafften mich an, der Po&#x017F;tillon fluchte, die<lb/>
Pferde &#x017F;chnaubten, ich, ganz verblu&#x0364;fft, &#x017F;pringe endlich<lb/>
ge&#x017F;chwind in den Wagen hinein, der Hausknecht &#x017F;chla&#x0364;gt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0069] ſie ſich nicht wenig, als ſie oben das leere Neſt ſahen. Niemand wußte etwas von meinen Herren. Nur die eine Magd — wie ich aus ihren Zeichen und Geſtiku¬ lationen zuſammenbringen konnte — hatte bemerkt, daß der Herr Guido, als er geſtern Abends auf dem Balkon ſang, auf einmal laut aufſchrie, und dann ge¬ ſchwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zuruͤck¬ ſtuͤrzte. Als ſie hernach in der Nacht einmal auf¬ wachte, hoͤrte ſie draußen Pferdegetrappel. Sie guckte durch das kleine Kammerfenſter und ſah den bucklich¬ ten Signor, der geſtern ſo viel mit mir geſprochen hatte, auf einem Schimmel im Mondſchein quer uͤbers Feld gallopiren, daß er immer Ellen hoch uͤberm Sattel in die Hoͤhe flog und die Magd ſich bekreuzte, weil es ausſah, wie ein Geſpenſt, das auf einem dreibeinigen Pferde reitet. — Da wußt' ich nun gar nicht, was ich machen ſollte. Unterdeß aber ſtand unſer Wagen ſchon lange vor der Thuͤre angeſpannt und der Poſtillon ſtieß ungedul¬ dig ins Horn, daß er haͤtte berſten moͤgen, denn er mußte zur beſtimmten Stunde auf der naͤchſten Sta¬ tion ſeyn, da alles durch Laufzettel bis auf die Minute voraus beſtellt war. Ich rannte noch einmal um das ganze Haus herum und rief die Maler, aber Niemand gab Antwort, die Leute aus dem Hauſe liefen zuſam¬ men und gafften mich an, der Poſtillon fluchte, die Pferde ſchnaubten, ich, ganz verbluͤfft, ſpringe endlich geſchwind in den Wagen hinein, der Hausknecht ſchlaͤgt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/69
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/69>, abgerufen am 30.04.2024.