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Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724.

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von bewegungs-gründen.
gen des zuhörers oder lesers, bey solchen sachen,
die in die übung müssen gebracht werden, zu be-
meistern, heisset man ins besondere argumen-
ta commoventia, oder besser: pathetica, be-
wegungs-gründe.

Judiciöse leute bewege ich mit gründlichen schlüs:
sen, ingeniöse mit artigen gleichnissen und aller-
hand besondern einfällen, memorialische leute
mit zeugnissen und exempeln, aber wann ich
schon auf solche weise den verstand gefüllet mit
vielen wissen, so fehlet es doch diesem niemahls
an ausflüchten, welche ihm, die üble einrichtung
des willens gegen den verstand, an die hand
giebt. Also heist es bey solchen: video meliora
proboque, deteriora sequor.
Dannenhero muß
ich auch die neigungen des willens attaquiren,
und also den gantzen menschen in bewegung
setzen, wann ich ein obiectum patheticum habe,
da es darauf ankommt, daß es der leser oder zu-
hörer in die übung bringe.

§. 2. Hier zeiget sich also die rechte kunst
zu überreden,a) und diese führet mich auf die-
ienigen gründe, wodurch theils die person des
redners dem zuhörer angenehm gemachet,
theils die sache demselben nach seinen haupt-
neigungen, appetitlich fürgelegt wird, theils
aber auch allerhand regungen des willens, zum
vortheil des redners, aufgebracht und einge-
richtet werden.

a) Deßwegen unterscheidet billich Lami, l'art de
parler,
oder die kunst zu reden, von l'art de per-
suader,
oder der kunst zu überreden.

§. 3. Die gründe, wodurch der redner sei-
ne person dem zuhörer angenehm macht, heissen

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von bewegungs-gruͤnden.
gen des zuhoͤrers oder leſers, bey ſolchen ſachen,
die in die uͤbung muͤſſen gebracht werden, zu be-
meiſtern, heiſſet man ins beſondere argumen-
ta commoventia, oder beſſer: pathetica, be-
wegungs-gruͤnde.

Judicioͤſe leute bewege ich mit gruͤndlichen ſchluͤſ:
ſen, ingenioͤſe mit artigen gleichniſſen und aller-
hand beſondern einfaͤllen, memorialiſche leute
mit zeugniſſen und exempeln, aber wann ich
ſchon auf ſolche weiſe den verſtand gefuͤllet mit
vielen wiſſen, ſo fehlet es doch dieſem niemahls
an ausfluͤchten, welche ihm, die uͤble einrichtung
des willens gegen den verſtand, an die hand
giebt. Alſo heiſt es bey ſolchen: video meliora
proboque, deteriora ſequor.
Dannenhero muß
ich auch die neigungen des willens attaquiren,
und alſo den gantzen menſchen in bewegung
ſetzen, wann ich ein obiectum patheticum habe,
da es darauf ankommt, daß es der leſer oder zu-
hoͤrer in die uͤbung bringe.

§. 2. Hier zeiget ſich alſo die rechte kunſt
zu uͤberreden,a) und dieſe fuͤhret mich auf die-
ienigen gruͤnde, wodurch theils die perſon des
redners dem zuhoͤrer angenehm gemachet,
theils die ſache demſelben nach ſeinen haupt-
neigungen, appetitlich fuͤrgelegt wird, theils
aber auch allerhand regungen des willens, zum
vortheil des redners, aufgebracht und einge-
richtet werden.

a) Deßwegen unterſcheidet billich Lami, l’art de
parler,
oder die kunſt zu reden, von l’art de per-
ſuader,
oder der kunſt zu uͤberreden.

§. 3. Die gruͤnde, wodurch der redner ſei-
ne perſon dem zuhoͤrer angenehm macht, heiſſen

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[121/0139] von bewegungs-gruͤnden. gen des zuhoͤrers oder leſers, bey ſolchen ſachen, die in die uͤbung muͤſſen gebracht werden, zu be- meiſtern, heiſſet man ins beſondere argumen- ta commoventia, oder beſſer: pathetica, be- wegungs-gruͤnde. Judicioͤſe leute bewege ich mit gruͤndlichen ſchluͤſ: ſen, ingenioͤſe mit artigen gleichniſſen und aller- hand beſondern einfaͤllen, memorialiſche leute mit zeugniſſen und exempeln, aber wann ich ſchon auf ſolche weiſe den verſtand gefuͤllet mit vielen wiſſen, ſo fehlet es doch dieſem niemahls an ausfluͤchten, welche ihm, die uͤble einrichtung des willens gegen den verſtand, an die hand giebt. Alſo heiſt es bey ſolchen: video meliora proboque, deteriora ſequor. Dannenhero muß ich auch die neigungen des willens attaquiren, und alſo den gantzen menſchen in bewegung ſetzen, wann ich ein obiectum patheticum habe, da es darauf ankommt, daß es der leſer oder zu- hoͤrer in die uͤbung bringe. §. 2. Hier zeiget ſich alſo die rechte kunſt zu uͤberreden, a⁾ und dieſe fuͤhret mich auf die- ienigen gruͤnde, wodurch theils die perſon des redners dem zuhoͤrer angenehm gemachet, theils die ſache demſelben nach ſeinen haupt- neigungen, appetitlich fuͤrgelegt wird, theils aber auch allerhand regungen des willens, zum vortheil des redners, aufgebracht und einge- richtet werden. a⁾ Deßwegen unterſcheidet billich Lami, l’art de parler, oder die kunſt zu reden, von l’art de per- ſuader, oder der kunſt zu uͤberreden. §. 3. Die gruͤnde, wodurch der redner ſei- ne perſon dem zuhoͤrer angenehm macht, heiſſen ar- H 5

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Zitationshilfe: Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/139>, abgerufen am 30.04.2024.