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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Das Wort ist ein abstractes Bild, die imaginäre Sache,
oder inwiefern jede Sache immer zuletzt auch ein Object der
Denkkraft ist, der eingebildete Gedanke, daher die Menschen,
wenn sie das Wort, den Namen einer Sache kennen, sich ein-
bilden, auch die Sache selbst zu kennen. Das Wort ist eine
Sache der Einbildungskraft. Schlafende, die lebhaft träumen,
Kranke, die phantasiren, sprechen. Was die Phantasie erregt,
macht redselig, was begeistert, beredt. Sprachfähigkeit ist ein poe-
tisches Talent. Die Thiere sprechen nicht, weil es ihnen an Poesie
fehlt. Der Gedanke äußert sich nur bildlich; die Aeußerungs-
kraft des Gedankens ist die Einbildungskraft; die sich äußernde
Einbildungskraft aber die Sprache. Wer spricht, bannt, fasci-
nirt den, zu dem er spricht; aber die Macht des Worts ist die
Macht der Einbildungskraft. Ein Wesen, ein geheimnißvolles,
magisch wirkendes Wesen war nur den alten Völkern, als Kin-
dern der Einbildungskraft, das Wort. Selbst die Christen
noch und nicht nur die gemeinen, sondern auch die gelehrten,
die Kirchenväter, knüpften an den bloßen Namen: Christus
geheimnißvolle Heilkräfte *). Und noch heute glaubt das ge-
meine Volk, daß man durch bloße Worte den Menschen be-

stenthum geheiligte Bedeutung. Ueber den Logos bei Philo s. Gfrörer.
Philo setzt statt Logos auch Rema theou. S. auch Tertullian. adv.
Praxeam c
. 5, wo er zeigt, daß es auf Eins hinauskommt, ob man Logos
mit Sermo oder Ratio übersetzt. Daß übrigens das Wort der richtige Sinn
des Logos ist, geht schon daraus hervor, daß die Schöpfung im A. T. von
einem ausdrücklichen Befehl abhängig gemacht wird und daß man von jeher
in diesem schöpferischen Worte den Logos erblickt hat. Freilich hat der Logos
auch den Sinn von Virtus, Spiritus, Kraft, Verstand u. s. w., denn was ist
das Wort ohne Sinn, ohne Verstand, d. i. ohne Kraft?
*) Tanta certe vis nomini Jesu inest contra daemones, ut non-
nunquam etiam a malisnominatum sit efficax. Origenes adv. Cel-
sum
. I. I.
S. auch I. III.

Das Wort iſt ein abſtractes Bild, die imaginäre Sache,
oder inwiefern jede Sache immer zuletzt auch ein Object der
Denkkraft iſt, der eingebildete Gedanke, daher die Menſchen,
wenn ſie das Wort, den Namen einer Sache kennen, ſich ein-
bilden, auch die Sache ſelbſt zu kennen. Das Wort iſt eine
Sache der Einbildungskraft. Schlafende, die lebhaft träumen,
Kranke, die phantaſiren, ſprechen. Was die Phantaſie erregt,
macht redſelig, was begeiſtert, beredt. Sprachfähigkeit iſt ein poe-
tiſches Talent. Die Thiere ſprechen nicht, weil es ihnen an Poeſie
fehlt. Der Gedanke äußert ſich nur bildlich; die Aeußerungs-
kraft des Gedankens iſt die Einbildungskraft; die ſich äußernde
Einbildungskraft aber die Sprache. Wer ſpricht, bannt, fasci-
nirt den, zu dem er ſpricht; aber die Macht des Worts iſt die
Macht der Einbildungskraft. Ein Weſen, ein geheimnißvolles,
magiſch wirkendes Weſen war nur den alten Völkern, als Kin-
dern der Einbildungskraft, das Wort. Selbſt die Chriſten
noch und nicht nur die gemeinen, ſondern auch die gelehrten,
die Kirchenväter, knüpften an den bloßen Namen: Chriſtus
geheimnißvolle Heilkräfte *). Und noch heute glaubt das ge-
meine Volk, daß man durch bloße Worte den Menſchen be-

ſtenthum geheiligte Bedeutung. Ueber den Logos bei Philo ſ. Gfrörer.
Philo ſetzt ſtatt Logos auch ῥημα ϑεοῦ. S. auch Tertullian. adv.
Praxeam c
. 5, wo er zeigt, daß es auf Eins hinauskommt, ob man Logos
mit Sermo oder Ratio überſetzt. Daß übrigens das Wort der richtige Sinn
des Logos iſt, geht ſchon daraus hervor, daß die Schöpfung im A. T. von
einem ausdrücklichen Befehl abhängig gemacht wird und daß man von jeher
in dieſem ſchöpferiſchen Worte den Logos erblickt hat. Freilich hat der Logos
auch den Sinn von Virtus, Spiritus, Kraft, Verſtand u. ſ. w., denn was iſt
das Wort ohne Sinn, ohne Verſtand, d. i. ohne Kraft?
*) Tanta certe vis nomini Jesu inest contra daemones, ut non-
nunquam etiam a malisnominatum sit efficax. Origenes adv. Cel-
sum
. I. I.
S. auch I. III.
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[93/0111] Das Wort iſt ein abſtractes Bild, die imaginäre Sache, oder inwiefern jede Sache immer zuletzt auch ein Object der Denkkraft iſt, der eingebildete Gedanke, daher die Menſchen, wenn ſie das Wort, den Namen einer Sache kennen, ſich ein- bilden, auch die Sache ſelbſt zu kennen. Das Wort iſt eine Sache der Einbildungskraft. Schlafende, die lebhaft träumen, Kranke, die phantaſiren, ſprechen. Was die Phantaſie erregt, macht redſelig, was begeiſtert, beredt. Sprachfähigkeit iſt ein poe- tiſches Talent. Die Thiere ſprechen nicht, weil es ihnen an Poeſie fehlt. Der Gedanke äußert ſich nur bildlich; die Aeußerungs- kraft des Gedankens iſt die Einbildungskraft; die ſich äußernde Einbildungskraft aber die Sprache. Wer ſpricht, bannt, fasci- nirt den, zu dem er ſpricht; aber die Macht des Worts iſt die Macht der Einbildungskraft. Ein Weſen, ein geheimnißvolles, magiſch wirkendes Weſen war nur den alten Völkern, als Kin- dern der Einbildungskraft, das Wort. Selbſt die Chriſten noch und nicht nur die gemeinen, ſondern auch die gelehrten, die Kirchenväter, knüpften an den bloßen Namen: Chriſtus geheimnißvolle Heilkräfte *). Und noch heute glaubt das ge- meine Volk, daß man durch bloße Worte den Menſchen be- *) *) Tanta certe vis nomini Jesu inest contra daemones, ut non- nunquam etiam a malisnominatum sit efficax. Origenes adv. Cel- sum. I. I. S. auch I. III. *) ſtenthum geheiligte Bedeutung. Ueber den Logos bei Philo ſ. Gfrörer. Philo ſetzt ſtatt Logos auch ῥημα ϑεοῦ. S. auch Tertullian. adv. Praxeam c. 5, wo er zeigt, daß es auf Eins hinauskommt, ob man Logos mit Sermo oder Ratio überſetzt. Daß übrigens das Wort der richtige Sinn des Logos iſt, geht ſchon daraus hervor, daß die Schöpfung im A. T. von einem ausdrücklichen Befehl abhängig gemacht wird und daß man von jeher in dieſem ſchöpferiſchen Worte den Logos erblickt hat. Freilich hat der Logos auch den Sinn von Virtus, Spiritus, Kraft, Verſtand u. ſ. w., denn was iſt das Wort ohne Sinn, ohne Verſtand, d. i. ohne Kraft?

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/111>, abgerufen am 28.04.2024.