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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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zaubern könne. Woher dieser Glaube an eingebildete Kräfte
des Wortes? nur daher, weil das Wort selbst nur ein Wesen
der Einbildungskraft ist, aber eben deßwegen narkotische Wir-
kungen auf den Menschen äußert, ihn unter die Herrschaft der
Phantasie gefangen nimmt. Worte besitzen Revolutionskräfte,
Worte beherrschen die Menschheit. Heilig ist die Sage; aber
verrufen die Sache der Vernunft und Wahrheit.

Die Bejahung oder Vergegenständlichung des Wesens der
Phantasie ist daher zugleich verbunden mit der Bejahung oder
Vergegenständlichung des Wesens der Sprache: des Wortes.
Der Mensch hat nicht nur einen Trieb, eine Nothwendigkeit,
zu denken, zu sinnen, zu phantasiren; er hat auch den Trieb
zu sprechen, seine Gedanken zu äußern, mitzutheilen. Gött-
lich
ist dieser Trieb, göttlich die Macht des Wortes. Das
Wort ist der bildliche, der offenbare, der ausstrahlende, der glän-
zende, der erleuchtende Gedanke. Das Wort ist das Licht
der Welt. Das Wort leitet in alle Wahrheit, erschließt alle
Geheimnisse, veranschaulicht das Unsichtbare, vergegenwärtigt
das Vergangne und Entfernte, verendlicht das Unendliche, ver-
ewigt das Zeitliche. Die Menschen vergehen, das Wort be-
steht; das Wort ist Leben und Wahrheit. Dem Wort ist alle
Macht übergeben: das Wort macht Blinde sehend, Lahme
gehend, Kranke gesund, Todte lebendig -- das Wort wirkt
Wunder und zwar die allein vernünftigen Wunder. Das
Wort ist das Evangelium, der Paraklet der Menschheit. Denke
Dich, um Dich von der göttlichen Wesenheit der Sprache zu
überzeugen, einsam und verlassen, aber der Sprache kundig
und Du hörtest zum ersten Male das Wort eines Menschen:
würde Dir nicht dieses Wort als ein Engel erscheinen, nicht
als die Stimme Gottes selbst, als die himmlischste Musik er-

zaubern könne. Woher dieſer Glaube an eingebildete Kräfte
des Wortes? nur daher, weil das Wort ſelbſt nur ein Weſen
der Einbildungskraft iſt, aber eben deßwegen narkotiſche Wir-
kungen auf den Menſchen äußert, ihn unter die Herrſchaft der
Phantaſie gefangen nimmt. Worte beſitzen Revolutionskräfte,
Worte beherrſchen die Menſchheit. Heilig iſt die Sage; aber
verrufen die Sache der Vernunft und Wahrheit.

Die Bejahung oder Vergegenſtändlichung des Weſens der
Phantaſie iſt daher zugleich verbunden mit der Bejahung oder
Vergegenſtändlichung des Weſens der Sprache: des Wortes.
Der Menſch hat nicht nur einen Trieb, eine Nothwendigkeit,
zu denken, zu ſinnen, zu phantaſiren; er hat auch den Trieb
zu ſprechen, ſeine Gedanken zu äußern, mitzutheilen. Gött-
lich
iſt dieſer Trieb, göttlich die Macht des Wortes. Das
Wort iſt der bildliche, der offenbare, der ausſtrahlende, der glän-
zende, der erleuchtende Gedanke. Das Wort iſt das Licht
der Welt. Das Wort leitet in alle Wahrheit, erſchließt alle
Geheimniſſe, veranſchaulicht das Unſichtbare, vergegenwärtigt
das Vergangne und Entfernte, verendlicht das Unendliche, ver-
ewigt das Zeitliche. Die Menſchen vergehen, das Wort be-
ſteht; das Wort iſt Leben und Wahrheit. Dem Wort iſt alle
Macht übergeben: das Wort macht Blinde ſehend, Lahme
gehend, Kranke geſund, Todte lebendig — das Wort wirkt
Wunder und zwar die allein vernünftigen Wunder. Das
Wort iſt das Evangelium, der Paraklet der Menſchheit. Denke
Dich, um Dich von der göttlichen Weſenheit der Sprache zu
überzeugen, einſam und verlaſſen, aber der Sprache kundig
und Du hörteſt zum erſten Male das Wort eines Menſchen:
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[94/0112] zaubern könne. Woher dieſer Glaube an eingebildete Kräfte des Wortes? nur daher, weil das Wort ſelbſt nur ein Weſen der Einbildungskraft iſt, aber eben deßwegen narkotiſche Wir- kungen auf den Menſchen äußert, ihn unter die Herrſchaft der Phantaſie gefangen nimmt. Worte beſitzen Revolutionskräfte, Worte beherrſchen die Menſchheit. Heilig iſt die Sage; aber verrufen die Sache der Vernunft und Wahrheit. Die Bejahung oder Vergegenſtändlichung des Weſens der Phantaſie iſt daher zugleich verbunden mit der Bejahung oder Vergegenſtändlichung des Weſens der Sprache: des Wortes. Der Menſch hat nicht nur einen Trieb, eine Nothwendigkeit, zu denken, zu ſinnen, zu phantaſiren; er hat auch den Trieb zu ſprechen, ſeine Gedanken zu äußern, mitzutheilen. Gött- lich iſt dieſer Trieb, göttlich die Macht des Wortes. Das Wort iſt der bildliche, der offenbare, der ausſtrahlende, der glän- zende, der erleuchtende Gedanke. Das Wort iſt das Licht der Welt. Das Wort leitet in alle Wahrheit, erſchließt alle Geheimniſſe, veranſchaulicht das Unſichtbare, vergegenwärtigt das Vergangne und Entfernte, verendlicht das Unendliche, ver- ewigt das Zeitliche. Die Menſchen vergehen, das Wort be- ſteht; das Wort iſt Leben und Wahrheit. Dem Wort iſt alle Macht übergeben: das Wort macht Blinde ſehend, Lahme gehend, Kranke geſund, Todte lebendig — das Wort wirkt Wunder und zwar die allein vernünftigen Wunder. Das Wort iſt das Evangelium, der Paraklet der Menſchheit. Denke Dich, um Dich von der göttlichen Weſenheit der Sprache zu überzeugen, einſam und verlaſſen, aber der Sprache kundig und Du hörteſt zum erſten Male das Wort eines Menſchen: würde Dir nicht dieſes Wort als ein Engel erſcheinen, nicht als die Stimme Gottes ſelbſt, als die himmliſchſte Muſik er-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/112>, abgerufen am 28.04.2024.