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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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eben so das Weib. Die Persönlichkeit ist daher nichts
ohne Geschlechtsdifferenz
; die Persönlichkeit unterscheidet
sich wesentlich in männliche und weibliche Persönlichkeit.
Wo kein Du, ist kein Ich; aber der Unterschied von Ich und
Du, die Grundbedingung aller Persönlichkeit, alles Bewußt-
seins, ist nur ein realer, lebendiger, feuriger als der
Unterschied von Mann und Weib
. Das Du zwischen
Mann und Weib hat einen ganz andern Klang, als das mo-
notone Du zwischen Freunden.

Natur im Unterschiede von Persönlichkeit kann gar nichts
anderes bedeuten als Geschlechtsdifferenz. Ein persönliches
Wesen ohne Natur ist eben nichts andres als ein Wesen ohne
Geschlecht, und umgekehrt. Natur soll von Gott prädicirt wer-
den "in dem Sinne wie von einem Menschen gesagt wird, er
sei eine starke, eine tüchtige, eine gesunde Natur." Aber was
ist krankhafter, was unausstehlicher, was naturwidriger als
eine Person ohne Geschlecht oder eine Person, die in ihrem
Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen ihr Geschlecht verläug-
net? Was ist die Tugend, die Tüchtigkeit des Menschen als
Mann? die Männlichkeit. Des Menschen als Weibes? die
Weiblichkeit. Aber der Mensch existirt nur als Mann und
Weib. Die Tüchtigkeit, die Gesundheit des Menschen besteht
demnach nur darin, daß er als Weib so ist, wie er als Weib
sein soll, als Mann so, wie er als Mann sein soll. Du ver-
wirfst "den Abscheu gegen alles Reale, der das Geistige durch
jede Berührung mit demselben zu verunreinigen meint." Also
verwirf vor allem Deinen eignen Abscheu vor dem Geschlechts-
unterschied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt,
so wird er auch nicht durch das Geschlecht verunreinigt. Deine
Scheu vor einem geschlechtlichen Gott ist eine falsche

Feuerbach. 8

eben ſo das Weib. Die Perſönlichkeit iſt daher nichts
ohne Geſchlechtsdifferenz
; die Perſönlichkeit unterſcheidet
ſich weſentlich in männliche und weibliche Perſönlichkeit.
Wo kein Du, iſt kein Ich; aber der Unterſchied von Ich und
Du, die Grundbedingung aller Perſönlichkeit, alles Bewußt-
ſeins, iſt nur ein realer, lebendiger, feuriger als der
Unterſchied von Mann und Weib
. Das Du zwiſchen
Mann und Weib hat einen ganz andern Klang, als das mo-
notone Du zwiſchen Freunden.

Natur im Unterſchiede von Perſönlichkeit kann gar nichts
anderes bedeuten als Geſchlechtsdifferenz. Ein perſönliches
Weſen ohne Natur iſt eben nichts andres als ein Weſen ohne
Geſchlecht, und umgekehrt. Natur ſoll von Gott prädicirt wer-
den „in dem Sinne wie von einem Menſchen geſagt wird, er
ſei eine ſtarke, eine tüchtige, eine geſunde Natur.“ Aber was
iſt krankhafter, was unausſtehlicher, was naturwidriger als
eine Perſon ohne Geſchlecht oder eine Perſon, die in ihrem
Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen ihr Geſchlecht verläug-
net? Was iſt die Tugend, die Tüchtigkeit des Menſchen als
Mann? die Männlichkeit. Des Menſchen als Weibes? die
Weiblichkeit. Aber der Menſch exiſtirt nur als Mann und
Weib. Die Tüchtigkeit, die Geſundheit des Menſchen beſteht
demnach nur darin, daß er als Weib ſo iſt, wie er als Weib
ſein ſoll, als Mann ſo, wie er als Mann ſein ſoll. Du ver-
wirfſt „den Abſcheu gegen alles Reale, der das Geiſtige durch
jede Berührung mit demſelben zu verunreinigen meint.“ Alſo
verwirf vor allem Deinen eignen Abſcheu vor dem Geſchlechts-
unterſchied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt,
ſo wird er auch nicht durch das Geſchlecht verunreinigt. Deine
Scheu vor einem geſchlechtlichen Gott iſt eine falſche

Feuerbach. 8
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[113/0131] eben ſo das Weib. Die Perſönlichkeit iſt daher nichts ohne Geſchlechtsdifferenz; die Perſönlichkeit unterſcheidet ſich weſentlich in männliche und weibliche Perſönlichkeit. Wo kein Du, iſt kein Ich; aber der Unterſchied von Ich und Du, die Grundbedingung aller Perſönlichkeit, alles Bewußt- ſeins, iſt nur ein realer, lebendiger, feuriger als der Unterſchied von Mann und Weib. Das Du zwiſchen Mann und Weib hat einen ganz andern Klang, als das mo- notone Du zwiſchen Freunden. Natur im Unterſchiede von Perſönlichkeit kann gar nichts anderes bedeuten als Geſchlechtsdifferenz. Ein perſönliches Weſen ohne Natur iſt eben nichts andres als ein Weſen ohne Geſchlecht, und umgekehrt. Natur ſoll von Gott prädicirt wer- den „in dem Sinne wie von einem Menſchen geſagt wird, er ſei eine ſtarke, eine tüchtige, eine geſunde Natur.“ Aber was iſt krankhafter, was unausſtehlicher, was naturwidriger als eine Perſon ohne Geſchlecht oder eine Perſon, die in ihrem Charakter, ihren Sitten, ihren Gefühlen ihr Geſchlecht verläug- net? Was iſt die Tugend, die Tüchtigkeit des Menſchen als Mann? die Männlichkeit. Des Menſchen als Weibes? die Weiblichkeit. Aber der Menſch exiſtirt nur als Mann und Weib. Die Tüchtigkeit, die Geſundheit des Menſchen beſteht demnach nur darin, daß er als Weib ſo iſt, wie er als Weib ſein ſoll, als Mann ſo, wie er als Mann ſein ſoll. Du ver- wirfſt „den Abſcheu gegen alles Reale, der das Geiſtige durch jede Berührung mit demſelben zu verunreinigen meint.“ Alſo verwirf vor allem Deinen eignen Abſcheu vor dem Geſchlechts- unterſchied. Wird Gott nicht durch die Natur verunreinigt, ſo wird er auch nicht durch das Geſchlecht verunreinigt. Deine Scheu vor einem geſchlechtlichen Gott iſt eine falſche Feuerbach. 8

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/131>, abgerufen am 28.04.2024.