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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Schaam -- falsch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die
Nacht, die Du in Gott gesetzt, Dich der Schaam überhebt; die
Schaam schickt sich nur für das Licht; dann, weil Du mit ihr
Dein ganzes Princip aufgibst. Ein sittlicher Gott ohne Na-
tur ist ohne Basis. Aber die Basis der Sittlichkeit ist der
Geschlechtsunterschied. Selbst das Thier wird durch den Ge-
schlechtsunterschied aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit
der Natur, all' ihre Macht, all' ihre Weisheit und Tiefe con-
centrirt und individualisirt sich in der Geschlechtsdifferenz.
Warum scheust Du Dich also, die Natur Gottes bei ihrem
wahren Namen zu nennen? Offenbar nur deßwegen, weil
Du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in ihrer Wahr-
heit und Wirklichkeit
hast, weil Du Alles nur durch den
trügerischen Nebel des Mysticismus erblickst. Aber eben deß-
wegen, weil die Natur in Gott nur ein trügerischer, wesen-
loser Schein
, ein phantastisches Gespenst der Natur
ist, -- denn sie stützt sich, wie gesagt, nicht auf Fleisch und
Blut, nicht auf einen realen Grund -- also auch diese Be-
gründung eines persönlichen Gottes eine fehlgeschossene ist: so
schließe auch ich mit den Worten: "die Läugnung eines per-
sönlichen
Gottes wird so lange wissenschaftliche Aufrichtig-
keit," ich setze hinzu: wissenschaftliche Wahrheit sein, als man
nicht mit klaren, unzweideutigen Worten ausspricht und
beweist, erstens a priori, aus speculativen Gründen, daß Ge-
stalt, Oertlichkeit, Fleischlichkeit, Geschlechtlichkeit nicht dem Be-
griffe der Gottheit widersprechen, zweitens a posteriori --
denn die Realität eines persönlichen Wesens stützt sich nur auf
empirische Gründe -- was für eine Gestalt Gott hat, wo
er existirt -- etwa im Himmel -- und endlich welchen Ge-
schlechtes er ist, ob er ein Männlein oder Weiblein oder

Schaam — falſch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die
Nacht, die Du in Gott geſetzt, Dich der Schaam überhebt; die
Schaam ſchickt ſich nur für das Licht; dann, weil Du mit ihr
Dein ganzes Princip aufgibſt. Ein ſittlicher Gott ohne Na-
tur iſt ohne Baſis. Aber die Baſis der Sittlichkeit iſt der
Geſchlechtsunterſchied. Selbſt das Thier wird durch den Ge-
ſchlechtsunterſchied aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit
der Natur, all’ ihre Macht, all’ ihre Weisheit und Tiefe con-
centrirt und individualiſirt ſich in der Geſchlechtsdifferenz.
Warum ſcheuſt Du Dich alſo, die Natur Gottes bei ihrem
wahren Namen zu nennen? Offenbar nur deßwegen, weil
Du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in ihrer Wahr-
heit und Wirklichkeit
haſt, weil Du Alles nur durch den
trügeriſchen Nebel des Myſticismus erblickſt. Aber eben deß-
wegen, weil die Natur in Gott nur ein trügeriſcher, weſen-
loſer Schein
, ein phantaſtiſches Geſpenſt der Natur
iſt, — denn ſie ſtützt ſich, wie geſagt, nicht auf Fleiſch und
Blut, nicht auf einen realen Grund — alſo auch dieſe Be-
gründung eines perſönlichen Gottes eine fehlgeſchoſſene iſt: ſo
ſchließe auch ich mit den Worten: „die Läugnung eines per-
ſönlichen
Gottes wird ſo lange wiſſenſchaftliche Aufrichtig-
keit,“ ich ſetze hinzu: wiſſenſchaftliche Wahrheit ſein, als man
nicht mit klaren, unzweideutigen Worten ausſpricht und
beweiſt, erſtens a priori, aus ſpeculativen Gründen, daß Ge-
ſtalt, Oertlichkeit, Fleiſchlichkeit, Geſchlechtlichkeit nicht dem Be-
griffe der Gottheit widerſprechen, zweitens a posteriori
denn die Realität eines perſönlichen Weſens ſtützt ſich nur auf
empiriſche Gründe — was für eine Geſtalt Gott hat, wo
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[114/0132] Schaam — falſch aus doppeltem Grunde. Einmal, weil die Nacht, die Du in Gott geſetzt, Dich der Schaam überhebt; die Schaam ſchickt ſich nur für das Licht; dann, weil Du mit ihr Dein ganzes Princip aufgibſt. Ein ſittlicher Gott ohne Na- tur iſt ohne Baſis. Aber die Baſis der Sittlichkeit iſt der Geſchlechtsunterſchied. Selbſt das Thier wird durch den Ge- ſchlechtsunterſchied aufopfernder Liebe fähig. Alle Herrlichkeit der Natur, all’ ihre Macht, all’ ihre Weisheit und Tiefe con- centrirt und individualiſirt ſich in der Geſchlechtsdifferenz. Warum ſcheuſt Du Dich alſo, die Natur Gottes bei ihrem wahren Namen zu nennen? Offenbar nur deßwegen, weil Du überhaupt eine Scheu vor den Dingen in ihrer Wahr- heit und Wirklichkeit haſt, weil Du Alles nur durch den trügeriſchen Nebel des Myſticismus erblickſt. Aber eben deß- wegen, weil die Natur in Gott nur ein trügeriſcher, weſen- loſer Schein, ein phantaſtiſches Geſpenſt der Natur iſt, — denn ſie ſtützt ſich, wie geſagt, nicht auf Fleiſch und Blut, nicht auf einen realen Grund — alſo auch dieſe Be- gründung eines perſönlichen Gottes eine fehlgeſchoſſene iſt: ſo ſchließe auch ich mit den Worten: „die Läugnung eines per- ſönlichen Gottes wird ſo lange wiſſenſchaftliche Aufrichtig- keit,“ ich ſetze hinzu: wiſſenſchaftliche Wahrheit ſein, als man nicht mit klaren, unzweideutigen Worten ausſpricht und beweiſt, erſtens a priori, aus ſpeculativen Gründen, daß Ge- ſtalt, Oertlichkeit, Fleiſchlichkeit, Geſchlechtlichkeit nicht dem Be- griffe der Gottheit widerſprechen, zweitens a posteriori — denn die Realität eines perſönlichen Weſens ſtützt ſich nur auf empiriſche Gründe — was für eine Geſtalt Gott hat, wo er exiſtirt — etwa im Himmel — und endlich welchen Ge- ſchlechtes er iſt, ob er ein Männlein oder Weiblein oder

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/132>, abgerufen am 28.04.2024.