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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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mit einem Mal ist, was er ist, von Anbeginn an so ist, wie
er sein soll, sein kann; er ist die reine Einheit von Sein und
Wesen, Realität und Idee, That und Wille. Deus suum
Esse est.
Der Theismus stimmt hierin mit dem Wesen der
Religion überein. Alle auch noch so positiven Religionen
beruhen auf Abstraction; sie unterscheiden sich nur in Dem,
was gesetzt wird als Das, wovon abstrahirt werden soll. Auch
die Homerischen Götter sind bei aller Lebenskräftigkeit und
Menschenähnlichkeit abstracte Gestalten; sie haben Leiber
wie die Menschen, aber doch keine so plumpe, beschwerliche,
beschränkte, keine sterbliche. Die erste Bestimmung des gött-
lichen Wesens ist: es ist ein abgesondertes, destillirtes
Wesen. Es versteht sich von selbst, daß diese Abstraction keine
willkührliche
, sondern durch den wesentlichen Standpunkt
des Menschen bestimmte ist. So wie er ist, so wie er über-
haupt denkt, so abstrahirt er.

Die Abstraction drückt ein Urtheil aus -- ein bejahen-
des und verneinendes zugleich, Lob und Tadel. Was der
Mensch lobt und preist, das ist ihm Gott; *) was er tadelt,
verwirft, das Ungöttliche. Die Religion ist ein Urtheil --
die Affirmation dessen, was der Mensch als sein Wesen an-
schaut. Was dem Menschen werth und theuer, das gibt er
nicht den zerstörenden Elementen der Außenwelt preis; er ver-
wahrt es in sein Schatzkästchen, d. h. er macht es zu einem
unantastbaren Heiligthum. Die wesentlichste Bestimmung
in der Religion, in der Idee des göttlichen Wesens ist demnach
die Abscheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des
Vollkommnen vom Unvollkommnen, kurz des Positiven vom

*) Quidquid enim unus quisque super caetera colit: hoc illi
Deus est. (Origenes
Explan. in Epist. Pauli ad Rom. c. l.)

mit einem Mal iſt, was er iſt, von Anbeginn an ſo iſt, wie
er ſein ſoll, ſein kann; er iſt die reine Einheit von Sein und
Weſen, Realität und Idee, That und Wille. Deus suum
Esse est.
Der Theismus ſtimmt hierin mit dem Weſen der
Religion überein. Alle auch noch ſo poſitiven Religionen
beruhen auf Abſtraction; ſie unterſcheiden ſich nur in Dem,
was geſetzt wird als Das, wovon abſtrahirt werden ſoll. Auch
die Homeriſchen Götter ſind bei aller Lebenskräftigkeit und
Menſchenähnlichkeit abſtracte Geſtalten; ſie haben Leiber
wie die Menſchen, aber doch keine ſo plumpe, beſchwerliche,
beſchränkte, keine ſterbliche. Die erſte Beſtimmung des gött-
lichen Weſens iſt: es iſt ein abgeſondertes, deſtillirtes
Weſen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Abſtraction keine
willkührliche
, ſondern durch den weſentlichen Standpunkt
des Menſchen beſtimmte iſt. So wie er iſt, ſo wie er über-
haupt denkt, ſo abſtrahirt er.

Die Abſtraction drückt ein Urtheil aus — ein bejahen-
des und verneinendes zugleich, Lob und Tadel. Was der
Menſch lobt und preiſt, das iſt ihm Gott; *) was er tadelt,
verwirft, das Ungöttliche. Die Religion iſt ein Urtheil
die Affirmation deſſen, was der Menſch als ſein Weſen an-
ſchaut. Was dem Menſchen werth und theuer, das gibt er
nicht den zerſtörenden Elementen der Außenwelt preis; er ver-
wahrt es in ſein Schatzkäſtchen, d. h. er macht es zu einem
unantaſtbaren Heiligthum. Die weſentlichſte Beſtimmung
in der Religion, in der Idee des göttlichen Weſens iſt demnach
die Abſcheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des
Vollkommnen vom Unvollkommnen, kurz des Poſitiven vom

*) Quidquid enim unus quisque super caetera colit: hoc illi
Deus est. (Origenes
Explan. in Epist. Pauli ad Rom. c. l.)
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[121/0139] mit einem Mal iſt, was er iſt, von Anbeginn an ſo iſt, wie er ſein ſoll, ſein kann; er iſt die reine Einheit von Sein und Weſen, Realität und Idee, That und Wille. Deus suum Esse est. Der Theismus ſtimmt hierin mit dem Weſen der Religion überein. Alle auch noch ſo poſitiven Religionen beruhen auf Abſtraction; ſie unterſcheiden ſich nur in Dem, was geſetzt wird als Das, wovon abſtrahirt werden ſoll. Auch die Homeriſchen Götter ſind bei aller Lebenskräftigkeit und Menſchenähnlichkeit abſtracte Geſtalten; ſie haben Leiber wie die Menſchen, aber doch keine ſo plumpe, beſchwerliche, beſchränkte, keine ſterbliche. Die erſte Beſtimmung des gött- lichen Weſens iſt: es iſt ein abgeſondertes, deſtillirtes Weſen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Abſtraction keine willkührliche, ſondern durch den weſentlichen Standpunkt des Menſchen beſtimmte iſt. So wie er iſt, ſo wie er über- haupt denkt, ſo abſtrahirt er. Die Abſtraction drückt ein Urtheil aus — ein bejahen- des und verneinendes zugleich, Lob und Tadel. Was der Menſch lobt und preiſt, das iſt ihm Gott; *) was er tadelt, verwirft, das Ungöttliche. Die Religion iſt ein Urtheil — die Affirmation deſſen, was der Menſch als ſein Weſen an- ſchaut. Was dem Menſchen werth und theuer, das gibt er nicht den zerſtörenden Elementen der Außenwelt preis; er ver- wahrt es in ſein Schatzkäſtchen, d. h. er macht es zu einem unantaſtbaren Heiligthum. Die weſentlichſte Beſtimmung in der Religion, in der Idee des göttlichen Weſens iſt demnach die Abſcheidung des Preiswürdigen vom Tadelhaften, des Vollkommnen vom Unvollkommnen, kurz des Poſitiven vom *) Quidquid enim unus quisque super caetera colit: hoc illi Deus est. (Origenes Explan. in Epist. Pauli ad Rom. c. l.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/139>, abgerufen am 27.04.2024.