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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Bewunderung der Natur und gehört daher nur dem, wenn auch
religiösen, Naturalismus an *); denn in der Natur offen-
bart sich auch nur die natürliche, nicht die göttliche Vor-
sehung, die Vorsehung, wie sie Gegenstand der Reli-
gion
. Die religiöse Vorsehung offenbart sich nur im
Wunder
-- vor Allem im Wunder der Menschwerdung, dem
Mittelpunkt der Religion. Aber wir lesen nirgends, daß Gott
um der Thiere willen Thier geworden sei -- ein solcher Ge-
danke schon ist in den Augen der Religion ein ruchloser, gott-
loser -- oder daß Gott überhaupt Wunder um der Thiere
oder Pflanzen willen gethan habe. Im Gegentheil: wir le-
sen, daß ein armer Feigenbaum, weil er keine Früchte trug
zu einer Zeit, wo er keine tragen konnte, verflucht wurde, nur
um den Menschen ein Beispiel zu geben, was für eine Macht
der Glaube über die Natur sei, daß die dämonischen Plage-
geister zwar den Menschen aus-, aber dafür den Thieren
eingetrieben wurden. Wohl heißt es: "kein Sperling fällt
ohne des Vaters Willen vom Dach;" aber diese Sperlinge ha-
ben nicht mehr Werth und Bedeutung, als die Haare auf
des Menschen Haupt, die alle gezählt sind.

Das Thier hat -- abgesehen vom Instinkt -- keinen an-
dern Schutzgeist, keine andere Vorsehung als seine Sinne oder
überhaupt Organe. Ein Vogel, der seine Augen verliert, hat

*) Der religiöse Naturalismus ist allerdings auch ein Moment der
christlichen -- mehr noch der mosaischen, so thierfreundlichen Religion.
Aber er ist keineswegs das charakteristische, das christliche Moment
der christlichen Religion. Die christliche, die religiöse Vorsehung ist eine
ganz andere, als die Vorsehung, welche die Lilien kleidet und die Raben
speist. Die natürliche Vorsehung läßt den Menschen im Wasser untersin-
ken, wenn er nicht schwimmen gelernt hat, aber die christliche, die religiöse
Vorsehung führt ihn an der Hand der Allmacht über das Wasser hinweg.

Bewunderung der Natur und gehört daher nur dem, wenn auch
religiöſen, Naturalismus an *); denn in der Natur offen-
bart ſich auch nur die natürliche, nicht die göttliche Vor-
ſehung, die Vorſehung, wie ſie Gegenſtand der Reli-
gion
. Die religiöſe Vorſehung offenbart ſich nur im
Wunder
— vor Allem im Wunder der Menſchwerdung, dem
Mittelpunkt der Religion. Aber wir leſen nirgends, daß Gott
um der Thiere willen Thier geworden ſei — ein ſolcher Ge-
danke ſchon iſt in den Augen der Religion ein ruchloſer, gott-
loſer — oder daß Gott überhaupt Wunder um der Thiere
oder Pflanzen willen gethan habe. Im Gegentheil: wir le-
ſen, daß ein armer Feigenbaum, weil er keine Früchte trug
zu einer Zeit, wo er keine tragen konnte, verflucht wurde, nur
um den Menſchen ein Beiſpiel zu geben, was für eine Macht
der Glaube über die Natur ſei, daß die dämoniſchen Plage-
geiſter zwar den Menſchen aus-, aber dafür den Thieren
eingetrieben wurden. Wohl heißt es: „kein Sperling fällt
ohne des Vaters Willen vom Dach;“ aber dieſe Sperlinge ha-
ben nicht mehr Werth und Bedeutung, als die Haare auf
des Menſchen Haupt, die alle gezählt ſind.

Das Thier hat — abgeſehen vom Inſtinkt — keinen an-
dern Schutzgeiſt, keine andere Vorſehung als ſeine Sinne oder
überhaupt Organe. Ein Vogel, der ſeine Augen verliert, hat

*) Der religiöſe Naturalismus iſt allerdings auch ein Moment der
chriſtlichen — mehr noch der moſaiſchen, ſo thierfreundlichen Religion.
Aber er iſt keineswegs das charakteriſtiſche, das chriſtliche Moment
der chriſtlichen Religion. Die chriſtliche, die religiöſe Vorſehung iſt eine
ganz andere, als die Vorſehung, welche die Lilien kleidet und die Raben
ſpeiſt. Die natürliche Vorſehung laͤßt den Menſchen im Waſſer unterſin-
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Vorſehung führt ihn an der Hand der Allmacht über das Waſſer hinweg.
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[130/0148] Bewunderung der Natur und gehört daher nur dem, wenn auch religiöſen, Naturalismus an *); denn in der Natur offen- bart ſich auch nur die natürliche, nicht die göttliche Vor- ſehung, die Vorſehung, wie ſie Gegenſtand der Reli- gion. Die religiöſe Vorſehung offenbart ſich nur im Wunder — vor Allem im Wunder der Menſchwerdung, dem Mittelpunkt der Religion. Aber wir leſen nirgends, daß Gott um der Thiere willen Thier geworden ſei — ein ſolcher Ge- danke ſchon iſt in den Augen der Religion ein ruchloſer, gott- loſer — oder daß Gott überhaupt Wunder um der Thiere oder Pflanzen willen gethan habe. Im Gegentheil: wir le- ſen, daß ein armer Feigenbaum, weil er keine Früchte trug zu einer Zeit, wo er keine tragen konnte, verflucht wurde, nur um den Menſchen ein Beiſpiel zu geben, was für eine Macht der Glaube über die Natur ſei, daß die dämoniſchen Plage- geiſter zwar den Menſchen aus-, aber dafür den Thieren eingetrieben wurden. Wohl heißt es: „kein Sperling fällt ohne des Vaters Willen vom Dach;“ aber dieſe Sperlinge ha- ben nicht mehr Werth und Bedeutung, als die Haare auf des Menſchen Haupt, die alle gezählt ſind. Das Thier hat — abgeſehen vom Inſtinkt — keinen an- dern Schutzgeiſt, keine andere Vorſehung als ſeine Sinne oder überhaupt Organe. Ein Vogel, der ſeine Augen verliert, hat *) Der religiöſe Naturalismus iſt allerdings auch ein Moment der chriſtlichen — mehr noch der moſaiſchen, ſo thierfreundlichen Religion. Aber er iſt keineswegs das charakteriſtiſche, das chriſtliche Moment der chriſtlichen Religion. Die chriſtliche, die religiöſe Vorſehung iſt eine ganz andere, als die Vorſehung, welche die Lilien kleidet und die Raben ſpeiſt. Die natürliche Vorſehung laͤßt den Menſchen im Waſſer unterſin- ken, wenn er nicht ſchwimmen gelernt hat, aber die chriſtliche, die religiöſe Vorſehung führt ihn an der Hand der Allmacht über das Waſſer hinweg.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/148>, abgerufen am 28.04.2024.