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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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seine Schutzengel verloren; er geht nothwendig zu Grunde,
wenn nicht ein Wunder geschieht. Aber wir lesen wohl, daß
ein Rabe dem Propheten Elias Speisen gebracht habe, nicht
jedoch (wenigstens meines Wissens), daß je um seinetwillen
ein Thier auf andere Weise als natürliche erhalten worden
sei. Wenn nun aber ein Mensch glaubt, daß auch er keine
andere Vorsehung habe, als die Kräfte seiner Gattung, seine
Sinne, seinen Verstand; so ist er in den Augen der Religion
und aller Derer, welche der Religion das Wort reden, ein ir-
religiöser Mensch, weil er nur eine natürliche Vorsehung
glaubt, die natürliche Vorsehung aber eben in den Augen der
Religion so viel als keine ist. Die Vorsehung bezieht sich
darum wesentlich nur auf den Menschen -- selbst unter den
Menschen eigentlich nur auf die religiösen. "Gott ist der
Heiland aller Menschen, sonderlich aber der Gläubigen."
Sie gehört wie die Religion nur dem Menschen an -- sie soll
den wesentlichen Unterschied des Menschen vom Thiere
ausdrücken, den Menschen der Gewalt der Naturmächte ent-
reißen. Jonas im Leibe des Fisches, Daniel in der Löwen-
grube sind Beispiele, wie die Vorsehung den (religiösen) Men-
schen vom Thiere unterscheidet. Wenn daher die Vorsehung,
welche in den Fang- und Freßwerkzeugen der Thiere sich äu-
ßert und von den frommen christlichen Naturforschern so sehr
bewundert wird, eine Wahrheit ist, so ist die Vorsehung der
Bibel, die Vorsehung der Religion eine Lüge, und umgekehrt.
Welch' erbärmliche und zugleich lächerliche Heuchelei, leider,
Natur und Bibel zugleich huldigen zu wollen! Die Natur, wie
widerspricht sie der Bibel! die Bibel, wie widerspricht sie der
Natur! Der Gott der Natur offenbart sich darin, daß er dem
Löwen die Stärke und schicklichen Organe gibt, um zur Erhal-

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ſeine Schutzengel verloren; er geht nothwendig zu Grunde,
wenn nicht ein Wunder geſchieht. Aber wir leſen wohl, daß
ein Rabe dem Propheten Elias Speiſen gebracht habe, nicht
jedoch (wenigſtens meines Wiſſens), daß je um ſeinetwillen
ein Thier auf andere Weiſe als natürliche erhalten worden
ſei. Wenn nun aber ein Menſch glaubt, daß auch er keine
andere Vorſehung habe, als die Kräfte ſeiner Gattung, ſeine
Sinne, ſeinen Verſtand; ſo iſt er in den Augen der Religion
und aller Derer, welche der Religion das Wort reden, ein ir-
religiöſer Menſch, weil er nur eine natürliche Vorſehung
glaubt, die natürliche Vorſehung aber eben in den Augen der
Religion ſo viel als keine iſt. Die Vorſehung bezieht ſich
darum weſentlich nur auf den Menſchen — ſelbſt unter den
Menſchen eigentlich nur auf die religiöſen. „Gott iſt der
Heiland aller Menſchen, ſonderlich aber der Gläubigen.“
Sie gehört wie die Religion nur dem Menſchen an — ſie ſoll
den weſentlichen Unterſchied des Menſchen vom Thiere
ausdrücken, den Menſchen der Gewalt der Naturmächte ent-
reißen. Jonas im Leibe des Fiſches, Daniel in der Löwen-
grube ſind Beiſpiele, wie die Vorſehung den (religiöſen) Men-
ſchen vom Thiere unterſcheidet. Wenn daher die Vorſehung,
welche in den Fang- und Freßwerkzeugen der Thiere ſich äu-
ßert und von den frommen chriſtlichen Naturforſchern ſo ſehr
bewundert wird, eine Wahrheit iſt, ſo iſt die Vorſehung der
Bibel, die Vorſehung der Religion eine Lüge, und umgekehrt.
Welch’ erbärmliche und zugleich lächerliche Heuchelei, leider,
Natur und Bibel zugleich huldigen zu wollen! Die Natur, wie
widerſpricht ſie der Bibel! die Bibel, wie widerſpricht ſie der
Natur! Der Gott der Natur offenbart ſich darin, daß er dem
Löwen die Stärke und ſchicklichen Organe gibt, um zur Erhal-

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[131/0149] ſeine Schutzengel verloren; er geht nothwendig zu Grunde, wenn nicht ein Wunder geſchieht. Aber wir leſen wohl, daß ein Rabe dem Propheten Elias Speiſen gebracht habe, nicht jedoch (wenigſtens meines Wiſſens), daß je um ſeinetwillen ein Thier auf andere Weiſe als natürliche erhalten worden ſei. Wenn nun aber ein Menſch glaubt, daß auch er keine andere Vorſehung habe, als die Kräfte ſeiner Gattung, ſeine Sinne, ſeinen Verſtand; ſo iſt er in den Augen der Religion und aller Derer, welche der Religion das Wort reden, ein ir- religiöſer Menſch, weil er nur eine natürliche Vorſehung glaubt, die natürliche Vorſehung aber eben in den Augen der Religion ſo viel als keine iſt. Die Vorſehung bezieht ſich darum weſentlich nur auf den Menſchen — ſelbſt unter den Menſchen eigentlich nur auf die religiöſen. „Gott iſt der Heiland aller Menſchen, ſonderlich aber der Gläubigen.“ Sie gehört wie die Religion nur dem Menſchen an — ſie ſoll den weſentlichen Unterſchied des Menſchen vom Thiere ausdrücken, den Menſchen der Gewalt der Naturmächte ent- reißen. Jonas im Leibe des Fiſches, Daniel in der Löwen- grube ſind Beiſpiele, wie die Vorſehung den (religiöſen) Men- ſchen vom Thiere unterſcheidet. Wenn daher die Vorſehung, welche in den Fang- und Freßwerkzeugen der Thiere ſich äu- ßert und von den frommen chriſtlichen Naturforſchern ſo ſehr bewundert wird, eine Wahrheit iſt, ſo iſt die Vorſehung der Bibel, die Vorſehung der Religion eine Lüge, und umgekehrt. Welch’ erbärmliche und zugleich lächerliche Heuchelei, leider, Natur und Bibel zugleich huldigen zu wollen! Die Natur, wie widerſpricht ſie der Bibel! die Bibel, wie widerſpricht ſie der Natur! Der Gott der Natur offenbart ſich darin, daß er dem Löwen die Stärke und ſchicklichen Organe gibt, um zur Erhal- 9*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/149>, abgerufen am 28.04.2024.