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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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überhaupt in feinen wesentlichen, substanziellen Verhält-
nissen durchaus göttlicher Natur. Seine religiöse Weihe
empfängt es nicht erst durch den Segen des Priesters. Die
Religion will durch ihre an sich äußerliche Zuthat einen Ge-
genstand heiligen; sie spricht dadurch sich allein als die heilige
Macht aus; sie kennt außer sich nur irdische, ungöttliche Ver-
hältnisse; darum eben tritt sie hinzu, um sie erst zu heiligen,
zu weihen.

Aber die Ehe -- natürlich als freier Bund der Liebe --
ist durch sich selbst, durch die Natur der Verbindung, die
hier geschlossen wird, heilig. Nur die Ehe ist eine religiöse,
die eine wahre ist, die dem Wesen der Ehe, der Liebe ent-
spricht. Und so ist es mit allen sittlichen Verhältnissen. Sie
sind nur da moralische, sie werden nur da mit sittlichem
Sinne gepflogen, wo sie durch sich selbst als religiöse
gelten. Wahrhafte Freundschaft ist nur da, wo die Gränzen
der Freundschaft mit religiöser Gewissenhaftigkeit bewahrt wer-
den, mit derselben Gewissenhaftigkeit, mit welcher der Gläubige
die Dignität seines Gottes wahrt. Heilig ist und sei Dir die
Freundschaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das
Wohl jedes Menschen, aber heilig an und für sich selbst.

Im Christenthum werden die moralischen Gesetze als Ge-
bote Gottes gefaßt; es wird die Moralität selbst zum Kriterium
der Religiosität gemacht; aber die Ethik hat dennoch unterge-
ordnete Bedeutung, hat nicht für sich selbst die Bedeutung der
Religion. Diese fällt nur in den Glauben. Ueber der Moral
schwebt Gott als ein vom Menschen unterschiedenes Wesen,
dem das Beste angehört, während dem Menschen nur der
Abfall zukommt. Alle Gesinnungen, die dem Leben, dem
Menschen zugewendet werden sollen, alle seine besten Kräfte

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überhaupt in feinen weſentlichen, ſubſtanziellen Verhält-
niſſen durchaus göttlicher Natur. Seine religiöſe Weihe
empfängt es nicht erſt durch den Segen des Prieſters. Die
Religion will durch ihre an ſich äußerliche Zuthat einen Ge-
genſtand heiligen; ſie ſpricht dadurch ſich allein als die heilige
Macht aus; ſie kennt außer ſich nur irdiſche, ungöttliche Ver-
hältniſſe; darum eben tritt ſie hinzu, um ſie erſt zu heiligen,
zu weihen.

Aber die Ehe — natürlich als freier Bund der Liebe —
iſt durch ſich ſelbſt, durch die Natur der Verbindung, die
hier geſchloſſen wird, heilig. Nur die Ehe iſt eine religiöſe,
die eine wahre iſt, die dem Weſen der Ehe, der Liebe ent-
ſpricht. Und ſo iſt es mit allen ſittlichen Verhältniſſen. Sie
ſind nur da moraliſche, ſie werden nur da mit ſittlichem
Sinne gepflogen, wo ſie durch ſich ſelbſt als religiöſe
gelten. Wahrhafte Freundſchaft iſt nur da, wo die Gränzen
der Freundſchaft mit religiöſer Gewiſſenhaftigkeit bewahrt wer-
den, mit derſelben Gewiſſenhaftigkeit, mit welcher der Gläubige
die Dignität ſeines Gottes wahrt. Heilig iſt und ſei Dir die
Freundſchaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das
Wohl jedes Menſchen, aber heilig an und für ſich ſelbſt.

Im Chriſtenthum werden die moraliſchen Geſetze als Ge-
bote Gottes gefaßt; es wird die Moralität ſelbſt zum Kriterium
der Religioſität gemacht; aber die Ethik hat dennoch unterge-
ordnete Bedeutung, hat nicht für ſich ſelbſt die Bedeutung der
Religion. Dieſe fällt nur in den Glauben. Ueber der Moral
ſchwebt Gott als ein vom Menſchen unterſchiedenes Weſen,
dem das Beſte angehört, während dem Menſchen nur der
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Menſchen zugewendet werden ſollen, alle ſeine beſten Kräfte

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[371/0389] überhaupt in feinen weſentlichen, ſubſtanziellen Verhält- niſſen durchaus göttlicher Natur. Seine religiöſe Weihe empfängt es nicht erſt durch den Segen des Prieſters. Die Religion will durch ihre an ſich äußerliche Zuthat einen Ge- genſtand heiligen; ſie ſpricht dadurch ſich allein als die heilige Macht aus; ſie kennt außer ſich nur irdiſche, ungöttliche Ver- hältniſſe; darum eben tritt ſie hinzu, um ſie erſt zu heiligen, zu weihen. Aber die Ehe — natürlich als freier Bund der Liebe — iſt durch ſich ſelbſt, durch die Natur der Verbindung, die hier geſchloſſen wird, heilig. Nur die Ehe iſt eine religiöſe, die eine wahre iſt, die dem Weſen der Ehe, der Liebe ent- ſpricht. Und ſo iſt es mit allen ſittlichen Verhältniſſen. Sie ſind nur da moraliſche, ſie werden nur da mit ſittlichem Sinne gepflogen, wo ſie durch ſich ſelbſt als religiöſe gelten. Wahrhafte Freundſchaft iſt nur da, wo die Gränzen der Freundſchaft mit religiöſer Gewiſſenhaftigkeit bewahrt wer- den, mit derſelben Gewiſſenhaftigkeit, mit welcher der Gläubige die Dignität ſeines Gottes wahrt. Heilig iſt und ſei Dir die Freundſchaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das Wohl jedes Menſchen, aber heilig an und für ſich ſelbſt. Im Chriſtenthum werden die moraliſchen Geſetze als Ge- bote Gottes gefaßt; es wird die Moralität ſelbſt zum Kriterium der Religioſität gemacht; aber die Ethik hat dennoch unterge- ordnete Bedeutung, hat nicht für ſich ſelbſt die Bedeutung der Religion. Dieſe fällt nur in den Glauben. Ueber der Moral ſchwebt Gott als ein vom Menſchen unterſchiedenes Weſen, dem das Beſte angehört, während dem Menſchen nur der Abfall zukommt. Alle Geſinnungen, die dem Leben, dem Menſchen zugewendet werden ſollen, alle ſeine beſten Kräfte 24*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/389>, abgerufen am 02.05.2024.