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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

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geben kann, der nicht ein körperlicher wäre, und ein
geistiger, weil es keinen körperlichen Vorgang geben
kann, der für uns anders als in geistiger Form vor¬
handen sein könnte. Alle Sinnlichkeit, Körperlichkeit,
Leiblichkeit kann für uns nur in den mannichfachen Vor¬
gängen und Formen des Empfindens, Wahrnehmens, Vor¬
stellens, Denkens vorhanden sein, während wir uns, und
wenn wir auch nur den kleinsten Theil dieses sogenannten
geistigen Lebens suchen und finden wollen, ganz ausschlie߬
lich auf ein in sinnlicher Form Vorhandenes angewiesen
sehen. In dem ganzen weiten Reiche des Geistigen ver¬
mögen wir schlechterdings nichts zu finden, was nicht
körperlich-sinnlicher Natur wäre; nichts, was wir Theile
unseres geistigen Besitzes nennen, kann anders geboren
werden, als in leiblicher Gestalt. Es ist ein trügerischer
Schein, der uns vortäuscht, es sei überhaupt eine Trennung,
auch nur eine gedachte Trennung zwischen Geistigem und
Sinnlichem möglich. Das, was dem reinsten geistigen
Gebiet anzugehören scheint, irgend eine von aller Möglich¬
keit sinnlicher Wahrnehmung weit abliegende Abstraction,
etwas, was je nach dem philosophischen Standpunkt den
Einen das höchste Sein, den Anderen gar kein Sein mehr
darstellt, ein Begriff, wie etwa Unendlichkeit, was ist das
anderes als das sehr sinnliche Gebilde eines Wortes?
Und wenn wir das auch zugeben, aber einwenden, daß
durch so ein Wort, wie durch eine Zauberformel ein Reich
unabsehbaren geistigen Seins erschlossen wird, so brauchen
wir nur genauer hinzusehen, um uns zu überzeugen, daß

geben kann, der nicht ein körperlicher wäre, und ein
geiſtiger, weil es keinen körperlichen Vorgang geben
kann, der für uns anders als in geiſtiger Form vor¬
handen ſein könnte. Alle Sinnlichkeit, Körperlichkeit,
Leiblichkeit kann für uns nur in den mannichfachen Vor¬
gängen und Formen des Empfindens, Wahrnehmens, Vor¬
ſtellens, Denkens vorhanden ſein, während wir uns, und
wenn wir auch nur den kleinſten Theil dieſes ſogenannten
geiſtigen Lebens ſuchen und finden wollen, ganz ausſchlie߬
lich auf ein in ſinnlicher Form Vorhandenes angewieſen
ſehen. In dem ganzen weiten Reiche des Geiſtigen ver¬
mögen wir ſchlechterdings nichts zu finden, was nicht
körperlich-ſinnlicher Natur wäre; nichts, was wir Theile
unſeres geiſtigen Beſitzes nennen, kann anders geboren
werden, als in leiblicher Geſtalt. Es iſt ein trügeriſcher
Schein, der uns vortäuſcht, es ſei überhaupt eine Trennung,
auch nur eine gedachte Trennung zwiſchen Geiſtigem und
Sinnlichem möglich. Das, was dem reinſten geiſtigen
Gebiet anzugehören ſcheint, irgend eine von aller Möglich¬
keit ſinnlicher Wahrnehmung weit abliegende Abſtraction,
etwas, was je nach dem philoſophiſchen Standpunkt den
Einen das höchſte Sein, den Anderen gar kein Sein mehr
darſtellt, ein Begriff, wie etwa Unendlichkeit, was iſt das
anderes als das ſehr ſinnliche Gebilde eines Wortes?
Und wenn wir das auch zugeben, aber einwenden, daß
durch ſo ein Wort, wie durch eine Zauberformel ein Reich
unabſehbaren geiſtigen Seins erſchloſſen wird, ſo brauchen
wir nur genauer hinzuſehen, um uns zu überzeugen, daß

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[40/0052] geben kann, der nicht ein körperlicher wäre, und ein geiſtiger, weil es keinen körperlichen Vorgang geben kann, der für uns anders als in geiſtiger Form vor¬ handen ſein könnte. Alle Sinnlichkeit, Körperlichkeit, Leiblichkeit kann für uns nur in den mannichfachen Vor¬ gängen und Formen des Empfindens, Wahrnehmens, Vor¬ ſtellens, Denkens vorhanden ſein, während wir uns, und wenn wir auch nur den kleinſten Theil dieſes ſogenannten geiſtigen Lebens ſuchen und finden wollen, ganz ausſchlie߬ lich auf ein in ſinnlicher Form Vorhandenes angewieſen ſehen. In dem ganzen weiten Reiche des Geiſtigen ver¬ mögen wir ſchlechterdings nichts zu finden, was nicht körperlich-ſinnlicher Natur wäre; nichts, was wir Theile unſeres geiſtigen Beſitzes nennen, kann anders geboren werden, als in leiblicher Geſtalt. Es iſt ein trügeriſcher Schein, der uns vortäuſcht, es ſei überhaupt eine Trennung, auch nur eine gedachte Trennung zwiſchen Geiſtigem und Sinnlichem möglich. Das, was dem reinſten geiſtigen Gebiet anzugehören ſcheint, irgend eine von aller Möglich¬ keit ſinnlicher Wahrnehmung weit abliegende Abſtraction, etwas, was je nach dem philoſophiſchen Standpunkt den Einen das höchſte Sein, den Anderen gar kein Sein mehr darſtellt, ein Begriff, wie etwa Unendlichkeit, was iſt das anderes als das ſehr ſinnliche Gebilde eines Wortes? Und wenn wir das auch zugeben, aber einwenden, daß durch ſo ein Wort, wie durch eine Zauberformel ein Reich unabſehbaren geiſtigen Seins erſchloſſen wird, ſo brauchen wir nur genauer hinzuſehen, um uns zu überzeugen, daß

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Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/52>, abgerufen am 30.04.2024.