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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

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friedigen könnte, daß er trotz allen Bestrebens dem sicht¬
baren Phänomen der Welt um keinen Schritt näher kommt,
daß ihn dasselbe so fremd anblickt wie von allem Anfang
an, daß es verschwindet, sobald er den Versuch macht, es
zu ergreifen: so wird er nur zu sehr der Schranken inne
werden, in die er gebannt ist, wenn er sich der sichtbaren
Erscheinung der Dinge sehend bewußt werden will. Nun
auch wird er begreifen, was es heißen kann, wenn gesagt
wird, daß es ein unsicherer und unentwickelter Besitz sei,
auf den der Mensch in Betreff seiner Vorstellungen von
sichtbaren Erscheinungen angewiesen bleibt.

Es liegt nahe, einen Vergleich anzustellen, worin bei
irgend einem Gegenstand, den wir sowohl als einen sicht¬
baren, als auch als einen benannten besitzen, dieser zwie¬
fache Besitz besteht. Hier erscheint dieser Besitz als ein
wenn nicht allgemein gültiges und endgültiges, so doch
als ein bestimmtes und beharrendes Gebilde, das Wort;
ein Product unserer eigenen Thätigkeit, dessen Entstehung
darauf hinweist, daß Vorgänge in unserem Inneren sich
bis zu äußeren Bewegungen entwickelt haben. Dort ver¬
mögen wir nichts anderes zu constatiren als Vorgänge,
die in unseren inneren Organen verlaufen, ohne sich so
weit zu entwickeln, daß sie in eine äußere, ein bestimmtes
sinnlich-wahrnehmbares Resultat hervorbringende, der
Sprachbildung analoge Thätigkeit überführen. Von diesem
Gesichtspunkt aus betrachtet ist der Wirklichkeitsbesitz, der
in der sprachlichen Form vorliegt, ein sehr weit entwickel¬
ter, während der Besitz an sichtbarer Wirklichkeit auf einer

friedigen könnte, daß er trotz allen Beſtrebens dem ſicht¬
baren Phänomen der Welt um keinen Schritt näher kommt,
daß ihn daſſelbe ſo fremd anblickt wie von allem Anfang
an, daß es verſchwindet, ſobald er den Verſuch macht, es
zu ergreifen: ſo wird er nur zu ſehr der Schranken inne
werden, in die er gebannt iſt, wenn er ſich der ſichtbaren
Erſcheinung der Dinge ſehend bewußt werden will. Nun
auch wird er begreifen, was es heißen kann, wenn geſagt
wird, daß es ein unſicherer und unentwickelter Beſitz ſei,
auf den der Menſch in Betreff ſeiner Vorſtellungen von
ſichtbaren Erſcheinungen angewieſen bleibt.

Es liegt nahe, einen Vergleich anzuſtellen, worin bei
irgend einem Gegenſtand, den wir ſowohl als einen ſicht¬
baren, als auch als einen benannten beſitzen, dieſer zwie¬
fache Beſitz beſteht. Hier erſcheint dieſer Beſitz als ein
wenn nicht allgemein gültiges und endgültiges, ſo doch
als ein beſtimmtes und beharrendes Gebilde, das Wort;
ein Product unſerer eigenen Thätigkeit, deſſen Entſtehung
darauf hinweiſt, daß Vorgänge in unſerem Inneren ſich
bis zu äußeren Bewegungen entwickelt haben. Dort ver¬
mögen wir nichts anderes zu conſtatiren als Vorgänge,
die in unſeren inneren Organen verlaufen, ohne ſich ſo
weit zu entwickeln, daß ſie in eine äußere, ein beſtimmtes
ſinnlich-wahrnehmbares Reſultat hervorbringende, der
Sprachbildung analoge Thätigkeit überführen. Von dieſem
Geſichtspunkt aus betrachtet iſt der Wirklichkeitsbeſitz, der
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[72/0084] friedigen könnte, daß er trotz allen Beſtrebens dem ſicht¬ baren Phänomen der Welt um keinen Schritt näher kommt, daß ihn daſſelbe ſo fremd anblickt wie von allem Anfang an, daß es verſchwindet, ſobald er den Verſuch macht, es zu ergreifen: ſo wird er nur zu ſehr der Schranken inne werden, in die er gebannt iſt, wenn er ſich der ſichtbaren Erſcheinung der Dinge ſehend bewußt werden will. Nun auch wird er begreifen, was es heißen kann, wenn geſagt wird, daß es ein unſicherer und unentwickelter Beſitz ſei, auf den der Menſch in Betreff ſeiner Vorſtellungen von ſichtbaren Erſcheinungen angewieſen bleibt. Es liegt nahe, einen Vergleich anzuſtellen, worin bei irgend einem Gegenſtand, den wir ſowohl als einen ſicht¬ baren, als auch als einen benannten beſitzen, dieſer zwie¬ fache Beſitz beſteht. Hier erſcheint dieſer Beſitz als ein wenn nicht allgemein gültiges und endgültiges, ſo doch als ein beſtimmtes und beharrendes Gebilde, das Wort; ein Product unſerer eigenen Thätigkeit, deſſen Entſtehung darauf hinweiſt, daß Vorgänge in unſerem Inneren ſich bis zu äußeren Bewegungen entwickelt haben. Dort ver¬ mögen wir nichts anderes zu conſtatiren als Vorgänge, die in unſeren inneren Organen verlaufen, ohne ſich ſo weit zu entwickeln, daß ſie in eine äußere, ein beſtimmtes ſinnlich-wahrnehmbares Reſultat hervorbringende, der Sprachbildung analoge Thätigkeit überführen. Von dieſem Geſichtspunkt aus betrachtet iſt der Wirklichkeitsbeſitz, der in der ſprachlichen Form vorliegt, ein ſehr weit entwickel¬ ter, während der Beſitz an ſichtbarer Wirklichkeit auf einer

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Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/84>, abgerufen am 28.04.2024.