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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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giebt nichts, was Du, Deinen Worten und Briefen
nach zu schließen, mehr perhorreszirst als Senti¬
mentalitäten, und doch fürcht' ich, steckst Du selber
drin und zwar tiefer als Du zugeben willst oder
vielleicht weißt. Ich sage nicht mehr."

Rienäcker legte den Brief aus der Hand und
schritt im Zimmer auf und ab, während er den
Meerschaum halb mechanisch mit einer Zigarette
vertauschte. Dann nahm er den Brief wieder und
las weiter. "Ja, Botho, Du hast unser Aller Zu¬
kunft in der Hand und hast zu bestimmen, ob dies
Gefühl einer beständigen Abhängigkeit fortdauern
oder aufhören soll. Du hast es in der Hand, sag'
ich, aber wie ich freilich hinzufügen muß, nur kurze
Zeit noch, jedenfalls nicht auf lange mehr. Auch
darüber hat Onkel Kurt Anton mit mir gesprochen,
namentlich im Hinblick auf die Sellenthiner Mama,
die sich, bei seiner letzten Anwesenheit in Rothen¬
moor, in dieser sie lebhaft beschäftigenden Sache
nicht nur mit großer Entschiedenheit, sondern auch
mit einem Anflug von Gereiztheit ausgesprochen
hat. Ob das Haus Rienäcker vielleicht glaube, daß
ein immer kleiner werdender Besitz, nach Art der
sibyllinischen Bücher (wo sie den Vergleich her hat,
weiß ich nicht) immer werthvoller würde? Käthe
werde nun zweiundzwanzig, habe den Ton der
großen Welt und verfüge mit Hilfe der von ihrer

giebt nichts, was Du, Deinen Worten und Briefen
nach zu ſchließen, mehr perhorreszirſt als Senti¬
mentalitäten, und doch fürcht' ich, ſteckſt Du ſelber
drin und zwar tiefer als Du zugeben willſt oder
vielleicht weißt. Ich ſage nicht mehr.“

Rienäcker legte den Brief aus der Hand und
ſchritt im Zimmer auf und ab, während er den
Meerſchaum halb mechaniſch mit einer Zigarette
vertauſchte. Dann nahm er den Brief wieder und
las weiter. „Ja, Botho, Du haſt unſer Aller Zu¬
kunft in der Hand und haſt zu beſtimmen, ob dies
Gefühl einer beſtändigen Abhängigkeit fortdauern
oder aufhören ſoll. Du haſt es in der Hand, ſag'
ich, aber wie ich freilich hinzufügen muß, nur kurze
Zeit noch, jedenfalls nicht auf lange mehr. Auch
darüber hat Onkel Kurt Anton mit mir geſprochen,
namentlich im Hinblick auf die Sellenthiner Mama,
die ſich, bei ſeiner letzten Anweſenheit in Rothen¬
moor, in dieſer ſie lebhaft beſchäftigenden Sache
nicht nur mit großer Entſchiedenheit, ſondern auch
mit einem Anflug von Gereiztheit ausgeſprochen
hat. Ob das Haus Rienäcker vielleicht glaube, daß
ein immer kleiner werdender Beſitz, nach Art der
ſibylliniſchen Bücher (wo ſie den Vergleich her hat,
weiß ich nicht) immer werthvoller würde? Käthe
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[150/0160] giebt nichts, was Du, Deinen Worten und Briefen nach zu ſchließen, mehr perhorreszirſt als Senti¬ mentalitäten, und doch fürcht' ich, ſteckſt Du ſelber drin und zwar tiefer als Du zugeben willſt oder vielleicht weißt. Ich ſage nicht mehr.“ Rienäcker legte den Brief aus der Hand und ſchritt im Zimmer auf und ab, während er den Meerſchaum halb mechaniſch mit einer Zigarette vertauſchte. Dann nahm er den Brief wieder und las weiter. „Ja, Botho, Du haſt unſer Aller Zu¬ kunft in der Hand und haſt zu beſtimmen, ob dies Gefühl einer beſtändigen Abhängigkeit fortdauern oder aufhören ſoll. Du haſt es in der Hand, ſag' ich, aber wie ich freilich hinzufügen muß, nur kurze Zeit noch, jedenfalls nicht auf lange mehr. Auch darüber hat Onkel Kurt Anton mit mir geſprochen, namentlich im Hinblick auf die Sellenthiner Mama, die ſich, bei ſeiner letzten Anweſenheit in Rothen¬ moor, in dieſer ſie lebhaft beſchäftigenden Sache nicht nur mit großer Entſchiedenheit, ſondern auch mit einem Anflug von Gereiztheit ausgeſprochen hat. Ob das Haus Rienäcker vielleicht glaube, daß ein immer kleiner werdender Beſitz, nach Art der ſibylliniſchen Bücher (wo ſie den Vergleich her hat, weiß ich nicht) immer werthvoller würde? Käthe werde nun zweiundzwanzig, habe den Ton der großen Welt und verfüge mit Hilfe der von ihrer

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/160>, abgerufen am 30.04.2024.