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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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schnitt mit der Vermählungsanzeige. Lene fuhr zu¬
sammen, sammelte sich aber rascher als der Absender,
aller Wahrscheinlichkeit nach eine neidische Kollegin,
erwartet haben mochte. Daß es von solcher Seite
her kam, war schon aus dem beigefügten "Hochwohl¬
geboren" zu schließen. Aber gerade dieser Extra¬
schabernack, der den schmerzhaften Stich verdoppeln
sollte, kam Lenen zu statten und verminderte das
bittere Gefühl, das ihr diese Nachricht sonst wohl
verursacht hätte.


Botho und Käthe von Rienäcker waren noch
am Hochzeitstage selbst nach Dresden hin auf¬
gebrochen, nachdem beide der Verlockung einer neu¬
märkischen Vetternreise glücklich widerstanden hatten.
Und wahrlich, sie hatten nicht Ursache ihre Wahl
zu bereuen, am wenigsten Botho, der sich jeden Tag
nicht nur zu dem Dresdener Aufenthalte, sondern
viel mehr noch zu dem Besitze seiner jungen Frau
beglückwünschte, die Capricen und üble Laune gar
nicht zu kennen schien. Wirklich, sie lachte den
ganzen Tag über und so leuchtend und hellblond
sie war, so war auch ihr Wesen. An allem ergötzte
sie sich und allem gewann sie die heitre Seite ab.
In dem von ihnen bewohnten Hotel war ein Kellner
mit einem Toupet, das einem eben umkippenden

ſchnitt mit der Vermählungsanzeige. Lene fuhr zu¬
ſammen, ſammelte ſich aber raſcher als der Abſender,
aller Wahrſcheinlichkeit nach eine neidiſche Kollegin,
erwartet haben mochte. Daß es von ſolcher Seite
her kam, war ſchon aus dem beigefügten „Hochwohl¬
geboren“ zu ſchließen. Aber gerade dieſer Extra¬
ſchabernack, der den ſchmerzhaften Stich verdoppeln
ſollte, kam Lenen zu ſtatten und verminderte das
bittere Gefühl, das ihr dieſe Nachricht ſonſt wohl
verurſacht hätte.


Botho und Käthe von Rienäcker waren noch
am Hochzeitstage ſelbſt nach Dresden hin auf¬
gebrochen, nachdem beide der Verlockung einer neu¬
märkiſchen Vetternreiſe glücklich widerſtanden hatten.
Und wahrlich, ſie hatten nicht Urſache ihre Wahl
zu bereuen, am wenigſten Botho, der ſich jeden Tag
nicht nur zu dem Dresdener Aufenthalte, ſondern
viel mehr noch zu dem Beſitze ſeiner jungen Frau
beglückwünſchte, die Capricen und üble Laune gar
nicht zu kennen ſchien. Wirklich, ſie lachte den
ganzen Tag über und ſo leuchtend und hellblond
ſie war, ſo war auch ihr Weſen. An allem ergötzte
ſie ſich und allem gewann ſie die heitre Seite ab.
In dem von ihnen bewohnten Hotel war ein Kellner
mit einem Toupet, das einem eben umkippenden

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[168/0178] ſchnitt mit der Vermählungsanzeige. Lene fuhr zu¬ ſammen, ſammelte ſich aber raſcher als der Abſender, aller Wahrſcheinlichkeit nach eine neidiſche Kollegin, erwartet haben mochte. Daß es von ſolcher Seite her kam, war ſchon aus dem beigefügten „Hochwohl¬ geboren“ zu ſchließen. Aber gerade dieſer Extra¬ ſchabernack, der den ſchmerzhaften Stich verdoppeln ſollte, kam Lenen zu ſtatten und verminderte das bittere Gefühl, das ihr dieſe Nachricht ſonſt wohl verurſacht hätte. Botho und Käthe von Rienäcker waren noch am Hochzeitstage ſelbſt nach Dresden hin auf¬ gebrochen, nachdem beide der Verlockung einer neu¬ märkiſchen Vetternreiſe glücklich widerſtanden hatten. Und wahrlich, ſie hatten nicht Urſache ihre Wahl zu bereuen, am wenigſten Botho, der ſich jeden Tag nicht nur zu dem Dresdener Aufenthalte, ſondern viel mehr noch zu dem Beſitze ſeiner jungen Frau beglückwünſchte, die Capricen und üble Laune gar nicht zu kennen ſchien. Wirklich, ſie lachte den ganzen Tag über und ſo leuchtend und hellblond ſie war, ſo war auch ihr Weſen. An allem ergötzte ſie ſich und allem gewann ſie die heitre Seite ab. In dem von ihnen bewohnten Hotel war ein Kellner mit einem Toupet, das einem eben umkippenden

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/178>, abgerufen am 30.04.2024.