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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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"Sie denken am Ende, wir zanken uns . . ."

"Unter Lachen? Zanken unter Lachen?"

Und sie lachte wieder.

Lene fühlte das Zittern der dünnen Eisenplatte,
darauf sie stand. Ein wagerecht liegender Messing¬
stab zog sich zum Schutze der großen Glasscheibe
vor dem Schaufenster hin und einen Augenblick war
es ihr, als ob sie, wie zu Beistand und Hilfe, nach
dem Messingstab greifen müsse, sie hielt sich aber
aufrecht und erst als sie sicher sein durfte, daß
Beide weit genug fort waren, wandte sie sich wieder,
um ihren Weg fortzusetzen. Sie tappte sich vor¬
sichtig an den Häusern hin und eine kurze Strecke
ging es. Aber bald war ihr doch, als ob ihr die
Sinne schwänden, und kaum, daß sie die nächste nach
dem Kanal hin abzweigende Querstraße erreicht
hatte, so bog sie hier ein und trat in einen Vor¬
garten, dessen Gitterthür offen stand. Nur mit
Mühe noch schleppte sie sich bis an eine kleine zu
Veranda und Hochparterre hinauf führende Frei¬
treppe, wenige Stufen, und setzte sich, einer Ohn¬
macht nah, auf eine derselben.

Als sie wieder erwachte, sah sie, daß ein halb¬
wachsenes Mädchen, ein Grabscheit in der Hand,
mit dem sie kleine Beete gegraben hatte, neben ihr
stand und sie theilnahmvoll anblickte, während, von
der Verandabrüstung aus, eine alte Kindermuhme

„Sie denken am Ende, wir zanken uns . . .“

„Unter Lachen? Zanken unter Lachen?“

Und ſie lachte wieder.

Lene fühlte das Zittern der dünnen Eiſenplatte,
darauf ſie ſtand. Ein wagerecht liegender Meſſing¬
ſtab zog ſich zum Schutze der großen Glasſcheibe
vor dem Schaufenſter hin und einen Augenblick war
es ihr, als ob ſie, wie zu Beiſtand und Hilfe, nach
dem Meſſingſtab greifen müſſe, ſie hielt ſich aber
aufrecht und erſt als ſie ſicher ſein durfte, daß
Beide weit genug fort waren, wandte ſie ſich wieder,
um ihren Weg fortzuſetzen. Sie tappte ſich vor¬
ſichtig an den Häuſern hin und eine kurze Strecke
ging es. Aber bald war ihr doch, als ob ihr die
Sinne ſchwänden, und kaum, daß ſie die nächſte nach
dem Kanal hin abzweigende Querſtraße erreicht
hatte, ſo bog ſie hier ein und trat in einen Vor¬
garten, deſſen Gitterthür offen ſtand. Nur mit
Mühe noch ſchleppte ſie ſich bis an eine kleine zu
Veranda und Hochparterre hinauf führende Frei¬
treppe, wenige Stufen, und ſetzte ſich, einer Ohn¬
macht nah, auf eine derſelben.

Als ſie wieder erwachte, ſah ſie, daß ein halb¬
wachſenes Mädchen, ein Grabſcheit in der Hand,
mit dem ſie kleine Beete gegraben hatte, neben ihr
ſtand und ſie theilnahmvoll anblickte, während, von
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[176/0186] „Sie denken am Ende, wir zanken uns . . .“ „Unter Lachen? Zanken unter Lachen?“ Und ſie lachte wieder. Lene fühlte das Zittern der dünnen Eiſenplatte, darauf ſie ſtand. Ein wagerecht liegender Meſſing¬ ſtab zog ſich zum Schutze der großen Glasſcheibe vor dem Schaufenſter hin und einen Augenblick war es ihr, als ob ſie, wie zu Beiſtand und Hilfe, nach dem Meſſingſtab greifen müſſe, ſie hielt ſich aber aufrecht und erſt als ſie ſicher ſein durfte, daß Beide weit genug fort waren, wandte ſie ſich wieder, um ihren Weg fortzuſetzen. Sie tappte ſich vor¬ ſichtig an den Häuſern hin und eine kurze Strecke ging es. Aber bald war ihr doch, als ob ihr die Sinne ſchwänden, und kaum, daß ſie die nächſte nach dem Kanal hin abzweigende Querſtraße erreicht hatte, ſo bog ſie hier ein und trat in einen Vor¬ garten, deſſen Gitterthür offen ſtand. Nur mit Mühe noch ſchleppte ſie ſich bis an eine kleine zu Veranda und Hochparterre hinauf führende Frei¬ treppe, wenige Stufen, und ſetzte ſich, einer Ohn¬ macht nah, auf eine derſelben. Als ſie wieder erwachte, ſah ſie, daß ein halb¬ wachſenes Mädchen, ein Grabſcheit in der Hand, mit dem ſie kleine Beete gegraben hatte, neben ihr ſtand und ſie theilnahmvoll anblickte, während, von der Verandabrüſtung aus, eine alte Kindermuhme

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/186>, abgerufen am 30.04.2024.