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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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redensartlichkeit stand ihm öfters vor der Seele,
schwand aber ebenso rasch wieder hin und nur wenn
Zufälligkeiten einen ganz bestimmten Vorfall in
aller Lebendigkeit wieder in ihm wachriefen, kam
ihm mit dieser größeren Lebendigkeit des Bildes auch
wohl ein stärkeres Gefühl und mitunter selbst eine
Verlegenheit.

Eine solche Zufälligkeit ereignete sich gleich im
ersten Sommer, als das junge Paar, von einem
Diner bei Graf Alten zurückgekehrt, auf dem
Balkon saß und seinen Thee nahm. Käthe lag
zurückgelehnt in ihrem Stuhl und ließ sich aus der
Zeitung einen mit Zahlenangaben reichgespickten
Artikel über Pfarr- und Stolgebühren vorlesen.
Eigentlich verstand sie wenig davon, um so weniger
als die vielen Zahlen sie störten, aber sie hörte doch
ziemlich aufmerksam zu, weil alle märkischen Frölens
ihre halbe Jugend "bei Predigers" zubringen und
so den Pfarrhausinteressen ihre Theilnahme be¬
wahren. So war es auch heut. Endlich brach der
Abend herein und im selben Augenblicke wo's dunkelte,
begann drüben im "Zoologischen" das Konzert und
ein entzückender Strauß'scher Walzer klang herüber.

"Höre nur, Botho," sagte Käthe, sich aufrichtend,
während sie voll Uebermuth hinzusetzte: "Komm, laß
uns tanzen." Und ohne seine Zustimmung abzu¬
warten, zog sie ihn aus seinem Stuhl in die Höh'

redensartlichkeit ſtand ihm öfters vor der Seele,
ſchwand aber ebenſo raſch wieder hin und nur wenn
Zufälligkeiten einen ganz beſtimmten Vorfall in
aller Lebendigkeit wieder in ihm wachriefen, kam
ihm mit dieſer größeren Lebendigkeit des Bildes auch
wohl ein ſtärkeres Gefühl und mitunter ſelbſt eine
Verlegenheit.

Eine ſolche Zufälligkeit ereignete ſich gleich im
erſten Sommer, als das junge Paar, von einem
Diner bei Graf Alten zurückgekehrt, auf dem
Balkon ſaß und ſeinen Thee nahm. Käthe lag
zurückgelehnt in ihrem Stuhl und ließ ſich aus der
Zeitung einen mit Zahlenangaben reichgeſpickten
Artikel über Pfarr- und Stolgebühren vorleſen.
Eigentlich verſtand ſie wenig davon, um ſo weniger
als die vielen Zahlen ſie ſtörten, aber ſie hörte doch
ziemlich aufmerkſam zu, weil alle märkiſchen Frölens
ihre halbe Jugend „bei Predigers“ zubringen und
ſo den Pfarrhausintereſſen ihre Theilnahme be¬
wahren. So war es auch heut. Endlich brach der
Abend herein und im ſelben Augenblicke wo's dunkelte,
begann drüben im „Zoologiſchen“ das Konzert und
ein entzückender Strauß'ſcher Walzer klang herüber.

„Höre nur, Botho,“ ſagte Käthe, ſich aufrichtend,
während ſie voll Uebermuth hinzuſetzte: „Komm, laß
uns tanzen.“ Und ohne ſeine Zuſtimmung abzu¬
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[183/0193] redensartlichkeit ſtand ihm öfters vor der Seele, ſchwand aber ebenſo raſch wieder hin und nur wenn Zufälligkeiten einen ganz beſtimmten Vorfall in aller Lebendigkeit wieder in ihm wachriefen, kam ihm mit dieſer größeren Lebendigkeit des Bildes auch wohl ein ſtärkeres Gefühl und mitunter ſelbſt eine Verlegenheit. Eine ſolche Zufälligkeit ereignete ſich gleich im erſten Sommer, als das junge Paar, von einem Diner bei Graf Alten zurückgekehrt, auf dem Balkon ſaß und ſeinen Thee nahm. Käthe lag zurückgelehnt in ihrem Stuhl und ließ ſich aus der Zeitung einen mit Zahlenangaben reichgeſpickten Artikel über Pfarr- und Stolgebühren vorleſen. Eigentlich verſtand ſie wenig davon, um ſo weniger als die vielen Zahlen ſie ſtörten, aber ſie hörte doch ziemlich aufmerkſam zu, weil alle märkiſchen Frölens ihre halbe Jugend „bei Predigers“ zubringen und ſo den Pfarrhausintereſſen ihre Theilnahme be¬ wahren. So war es auch heut. Endlich brach der Abend herein und im ſelben Augenblicke wo's dunkelte, begann drüben im „Zoologiſchen“ das Konzert und ein entzückender Strauß'ſcher Walzer klang herüber. „Höre nur, Botho,“ ſagte Käthe, ſich aufrichtend, während ſie voll Uebermuth hinzuſetzte: „Komm, laß uns tanzen.“ Und ohne ſeine Zuſtimmung abzu¬ warten, zog ſie ihn aus ſeinem Stuhl in die Höh'

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/193>, abgerufen am 30.04.2024.