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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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kann es aushalten. Immer einen guten und klugen
Menschen um sich haben, immer was hören und sehen,
was einen anlacht und erquickt, das ist was. Aber ich!
Ich für meinen Teil, gleichviel ob mit oder ohne Schuld,
ich war immer nur auf ein Pflichtteil gesetzt, -- als
Kind, weil ich faul war, und als Leutnant, weil
ich nicht recht was hatte. Dann kam ein Lichtblick.
Aber gleich darnach starb sie, die mir Stab und Stütze
hätte sein können, und durch all die dreißig Jahre,
die seitdem kamen und gingen, blieb mir nichts, als
Engelke (der noch das beste war) und meine Schwester
Adelheid. Gott verzeih mir's, aber ein Trost war die
nicht; immer bloß herbe wie 'n Holzapfel."

Unter solchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf
ein und hielt gleich darnach vor der Thür seines alten
Hauses. Engelke war schon da, half ihm und that
sein Bestes, ihn aus der schweren Wolfsschur heraus¬
zuwickeln. Der immer noch Fröstelnde stapfte dabei
mit den Füßen, warf seinen Staatshut -- den er
unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal ver¬
wünscht hatte -- mit ersichtlicher Befriedigung beiseite
und sagte gleich danach beim Eintreten in sein Zimmer:
"Ach, das is recht, Engelke. Du hast ein Feuer ge¬
macht; du weißt, was einem alten Menschen gut thut.
Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl unten noch
heißes Wasser ist? So 'n fester Grog, der sollte mir
jetzt passen; ich friere Stein und Bein."

"Heiß Wasser is nicht mehr, gnädiger Herr. Aber
ich kann ja 'ne Kasseroll' aufstellen. Oder noch besser,
ich hole den Petroleumkocher."

"Nein, nein, Engelke, nicht so viel Umstände. Das
mag ich nicht. Und den Petroleumkocher, den erst recht
nich; da kriegt man bloß Kopfweh, und ich habe schon
genug davon. Aber bringe mir den Cognac und kaltes
Wasser. Und wenn man dann so halb und halb

kann es aushalten. Immer einen guten und klugen
Menſchen um ſich haben, immer was hören und ſehen,
was einen anlacht und erquickt, das iſt was. Aber ich!
Ich für meinen Teil, gleichviel ob mit oder ohne Schuld,
ich war immer nur auf ein Pflichtteil geſetzt, — als
Kind, weil ich faul war, und als Leutnant, weil
ich nicht recht was hatte. Dann kam ein Lichtblick.
Aber gleich darnach ſtarb ſie, die mir Stab und Stütze
hätte ſein können, und durch all die dreißig Jahre,
die ſeitdem kamen und gingen, blieb mir nichts, als
Engelke (der noch das beſte war) und meine Schweſter
Adelheid. Gott verzeih mir's, aber ein Troſt war die
nicht; immer bloß herbe wie 'n Holzapfel.“

Unter ſolchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf
ein und hielt gleich darnach vor der Thür ſeines alten
Hauſes. Engelke war ſchon da, half ihm und that
ſein Beſtes, ihn aus der ſchweren Wolfsſchur heraus¬
zuwickeln. Der immer noch Fröſtelnde ſtapfte dabei
mit den Füßen, warf ſeinen Staatshut — den er
unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal ver¬
wünſcht hatte — mit erſichtlicher Befriedigung beiſeite
und ſagte gleich danach beim Eintreten in ſein Zimmer:
„Ach, das is recht, Engelke. Du haſt ein Feuer ge¬
macht; du weißt, was einem alten Menſchen gut thut.
Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl unten noch
heißes Waſſer iſt? So 'n feſter Grog, der ſollte mir
jetzt paſſen; ich friere Stein und Bein.“

„Heiß Waſſer is nicht mehr, gnädiger Herr. Aber
ich kann ja 'ne Kaſſeroll' aufſtellen. Oder noch beſſer,
ich hole den Petroleumkocher.“

„Nein, nein, Engelke, nicht ſo viel Umſtände. Das
mag ich nicht. Und den Petroleumkocher, den erſt recht
nich; da kriegt man bloß Kopfweh, und ich habe ſchon
genug davon. Aber bringe mir den Cognac und kaltes
Waſſer. Und wenn man dann ſo halb und halb

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[412/0419] kann es aushalten. Immer einen guten und klugen Menſchen um ſich haben, immer was hören und ſehen, was einen anlacht und erquickt, das iſt was. Aber ich! Ich für meinen Teil, gleichviel ob mit oder ohne Schuld, ich war immer nur auf ein Pflichtteil geſetzt, — als Kind, weil ich faul war, und als Leutnant, weil ich nicht recht was hatte. Dann kam ein Lichtblick. Aber gleich darnach ſtarb ſie, die mir Stab und Stütze hätte ſein können, und durch all die dreißig Jahre, die ſeitdem kamen und gingen, blieb mir nichts, als Engelke (der noch das beſte war) und meine Schweſter Adelheid. Gott verzeih mir's, aber ein Troſt war die nicht; immer bloß herbe wie 'n Holzapfel.“ Unter ſolchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf ein und hielt gleich darnach vor der Thür ſeines alten Hauſes. Engelke war ſchon da, half ihm und that ſein Beſtes, ihn aus der ſchweren Wolfsſchur heraus¬ zuwickeln. Der immer noch Fröſtelnde ſtapfte dabei mit den Füßen, warf ſeinen Staatshut — den er unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal ver¬ wünſcht hatte — mit erſichtlicher Befriedigung beiſeite und ſagte gleich danach beim Eintreten in ſein Zimmer: „Ach, das is recht, Engelke. Du haſt ein Feuer ge¬ macht; du weißt, was einem alten Menſchen gut thut. Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl unten noch heißes Waſſer iſt? So 'n feſter Grog, der ſollte mir jetzt paſſen; ich friere Stein und Bein.“ „Heiß Waſſer is nicht mehr, gnädiger Herr. Aber ich kann ja 'ne Kaſſeroll' aufſtellen. Oder noch beſſer, ich hole den Petroleumkocher.“ „Nein, nein, Engelke, nicht ſo viel Umſtände. Das mag ich nicht. Und den Petroleumkocher, den erſt recht nich; da kriegt man bloß Kopfweh, und ich habe ſchon genug davon. Aber bringe mir den Cognac und kaltes Waſſer. Und wenn man dann ſo halb und halb

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/419>, abgerufen am 28.04.2024.