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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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am Ruder der musikalischen Schriftstellerey in Deutschland, begleitete die Ausgabe mit einer Vorrede, worin sehr viel Gutes und Wahres über den Werth und Nutzen solcher Kunstwerke gesagt ist. Aber diese Bachische Kunst der Fuge war doch für die große Welt zu hoch; sie mußte sich in die kleine, mit sehr wenigen Kennern bevölkerte, Welt zurückziehen. Diese kleine Welt war sehr bald mit Abdrücken versorgt; die Kupferplatten blieben ungenutzt liegen, und wurden endlich von den Erben als altes Kupfer verkauft. Wäre ein Werk dieser Art außerhalb Deutschland von einem so außerordentlich berühmten Mann, wie Bach, zum Vorschein gekommen, und noch außerdem durch einen Schriftsteller, der in diesem Fache öffentlichen Glauben hatte, als etwas Außerordentliches empfohlen worden, so würden aus bloßem Patriotismus vielleicht 10 Prachtausgaben davon vergriffen worden seyn. In Deutschland wurden nicht einmahl so viele einzelne Exemplare von einem solchen Werke abgesetzt, daß die dazu erforderlichen Kupferplatten mit deren Ertrag bezahlt werden konnten.

Das Werk besteht übrigens aus Variationen im Großen. Die Absicht des Verfassers war nehmlich, anschaulich zu machen, was möglicher Weise über ein Fugenthema gemacht werden könne. Die Variationen, welche sämmtlich vollständige Fugen über einerley Thema sind, werden hier Contrapuncte genannt. Die vorletzte Fuge hat 3 Themata; im dritten gibt sich der Componist namentlich durch bach zu erkennen. Diese Fuge wurde aber durch die Augenkrankheit des Verfassers unterbrochen, und konnte, da seine Operation unglücklich ausfiel, nicht vollendet werden. Sonst soll er Willens gewesen seyn, in der allerletzten Fuge 4 Themata zu nehmen, sie in allen 4 Stimmen umzukehren, und sein großes Werk damit zu beschließen. Alle die in diesem Werke vorkommenden verschiedenen Gattungen von Fugen über einerley Hauptsatz, haben übrigens das gemeinschaftliche Verdienst, daß alle Stimmen darin gehörig singen, und keine weniger als die andere.

Zum Ersatz des Fehlenden an der letztern Fuge ist dem Werke am Schluß der 4stimmig ausgearbeitete Choral: Wenn wir in höchsten Nöthen sind etc. beygefügt worden. Bach hat ihn in seiner Blindheit, wenige Tage vor seinem Ende seinem Schwiegersohn Altnikol in die Feder dictirt. Von der in diesem Choral liegenden Kunst will ich nichts sagen; sie war dem Verf. desselben so geläufig geworden, daß er sie auch

am Ruder der musikalischen Schriftstellerey in Deutschland, begleitete die Ausgabe mit einer Vorrede, worin sehr viel Gutes und Wahres über den Werth und Nutzen solcher Kunstwerke gesagt ist. Aber diese Bachische Kunst der Fuge war doch für die große Welt zu hoch; sie mußte sich in die kleine, mit sehr wenigen Kennern bevölkerte, Welt zurückziehen. Diese kleine Welt war sehr bald mit Abdrücken versorgt; die Kupferplatten blieben ungenutzt liegen, und wurden endlich von den Erben als altes Kupfer verkauft. Wäre ein Werk dieser Art außerhalb Deutschland von einem so außerordentlich berühmten Mann, wie Bach, zum Vorschein gekommen, und noch außerdem durch einen Schriftsteller, der in diesem Fache öffentlichen Glauben hatte, als etwas Außerordentliches empfohlen worden, so würden aus bloßem Patriotismus vielleicht 10 Prachtausgaben davon vergriffen worden seyn. In Deutschland wurden nicht einmahl so viele einzelne Exemplare von einem solchen Werke abgesetzt, daß die dazu erforderlichen Kupferplatten mit deren Ertrag bezahlt werden konnten.

Das Werk besteht übrigens aus Variationen im Großen. Die Absicht des Verfassers war nehmlich, anschaulich zu machen, was möglicher Weise über ein Fugenthema gemacht werden könne. Die Variationen, welche sämmtlich vollständige Fugen über einerley Thema sind, werden hier Contrapuncte genannt. Die vorletzte Fuge hat 3 Themata; im dritten gibt sich der Componist namentlich durch bach zu erkennen. Diese Fuge wurde aber durch die Augenkrankheit des Verfassers unterbrochen, und konnte, da seine Operation unglücklich ausfiel, nicht vollendet werden. Sonst soll er Willens gewesen seyn, in der allerletzten Fuge 4 Themata zu nehmen, sie in allen 4 Stimmen umzukehren, und sein großes Werk damit zu beschließen. Alle die in diesem Werke vorkommenden verschiedenen Gattungen von Fugen über einerley Hauptsatz, haben übrigens das gemeinschaftliche Verdienst, daß alle Stimmen darin gehörig singen, und keine weniger als die andere.

Zum Ersatz des Fehlenden an der letztern Fuge ist dem Werke am Schluß der 4stimmig ausgearbeitete Choral: Wenn wir in höchsten Nöthen sind etc. beygefügt worden. Bach hat ihn in seiner Blindheit, wenige Tage vor seinem Ende seinem Schwiegersohn Altnikol in die Feder dictirt. Von der in diesem Choral liegenden Kunst will ich nichts sagen; sie war dem Verf. desselben so geläufig geworden, daß er sie auch

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[53/0063] am Ruder der musikalischen Schriftstellerey in Deutschland, begleitete die Ausgabe mit einer Vorrede, worin sehr viel Gutes und Wahres über den Werth und Nutzen solcher Kunstwerke gesagt ist. Aber diese Bachische Kunst der Fuge war doch für die große Welt zu hoch; sie mußte sich in die kleine, mit sehr wenigen Kennern bevölkerte, Welt zurückziehen. Diese kleine Welt war sehr bald mit Abdrücken versorgt; die Kupferplatten blieben ungenutzt liegen, und wurden endlich von den Erben als altes Kupfer verkauft. Wäre ein Werk dieser Art außerhalb Deutschland von einem so außerordentlich berühmten Mann, wie Bach, zum Vorschein gekommen, und noch außerdem durch einen Schriftsteller, der in diesem Fache öffentlichen Glauben hatte, als etwas Außerordentliches empfohlen worden, so würden aus bloßem Patriotismus vielleicht 10 Prachtausgaben davon vergriffen worden seyn. In Deutschland wurden nicht einmahl so viele einzelne Exemplare von einem solchen Werke abgesetzt, daß die dazu erforderlichen Kupferplatten mit deren Ertrag bezahlt werden konnten. Das Werk besteht übrigens aus Variationen im Großen. Die Absicht des Verfassers war nehmlich, anschaulich zu machen, was möglicher Weise über ein Fugenthema gemacht werden könne. Die Variationen, welche sämmtlich vollständige Fugen über einerley Thema sind, werden hier Contrapuncte genannt. Die vorletzte Fuge hat 3 Themata; im dritten gibt sich der Componist namentlich durch bach zu erkennen. Diese Fuge wurde aber durch die Augenkrankheit des Verfassers unterbrochen, und konnte, da seine Operation unglücklich ausfiel, nicht vollendet werden. Sonst soll er Willens gewesen seyn, in der allerletzten Fuge 4 Themata zu nehmen, sie in allen 4 Stimmen umzukehren, und sein großes Werk damit zu beschließen. Alle die in diesem Werke vorkommenden verschiedenen Gattungen von Fugen über einerley Hauptsatz, haben übrigens das gemeinschaftliche Verdienst, daß alle Stimmen darin gehörig singen, und keine weniger als die andere. Zum Ersatz des Fehlenden an der letztern Fuge ist dem Werke am Schluß der 4stimmig ausgearbeitete Choral: Wenn wir in höchsten Nöthen sind etc. beygefügt worden. Bach hat ihn in seiner Blindheit, wenige Tage vor seinem Ende seinem Schwiegersohn Altnikol in die Feder dictirt. Von der in diesem Choral liegenden Kunst will ich nichts sagen; sie war dem Verf. desselben so geläufig geworden, daß er sie auch

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/63>, abgerufen am 26.04.2024.