Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

war eben die reiche Gräfin von Reckenburg und nahe
dem achtzigsten Jahre. Das Fräulein von Recken¬
burg aber war ein blutarmes Ding, wenig begehrens¬
werth für einen Freiersmann, und verlor es den Va¬
ter, schutzlos der Welt gegenüberstehend. Mancher
mütterliche Sorgenseufzer mochte in dieser Aussicht in¬
nerhalb der vertraulichen Rathskammer laut geworden
sein. Eine Aussteuer, ein Legat von dem Ueberflusse
der einzigen Verwandtin, die heute zum erstenmal eine
Art von Antheil bekundete, konnte allen Sorgen und
Seufzern ein Ende machen.

Der Vater antwortete daher zustimmend, wenn
auch in der würdigsten Haltung. Gunst und Vertrauen
wurden erwiesen, mehr als empfangen; nicht die glän¬
zender gestellte Verwandtin, die zu einem Wunsche be¬
rechtigte Pathin war es, der man Folge leistete.

Längeres Bedenken erregte die Art der Beförde¬
rung. Das blutjunge Fräulein konnte nicht allein
und nicht in der gelben Postkutsche reisen; der Vater,
wie er es am schicklichsten gefunden haben würde,
nicht die Begleitung übernehmen, da der Termin der
Einladung mit dem einer kurfürstlichen Revue zusam¬
menfiel, die Mutter aber kränkelte seit einiger Zeit,
und der Arzt hatte ihr das Fahren strengstens untersagt.

10*

war eben die reiche Gräfin von Reckenburg und nahe
dem achtzigſten Jahre. Das Fräulein von Recken¬
burg aber war ein blutarmes Ding, wenig begehrens¬
werth für einen Freiersmann, und verlor es den Va¬
ter, ſchutzlos der Welt gegenüberſtehend. Mancher
mütterliche Sorgenſeufzer mochte in dieſer Ausſicht in¬
nerhalb der vertraulichen Rathskammer laut geworden
ſein. Eine Ausſteuer, ein Legat von dem Ueberfluſſe
der einzigen Verwandtin, die heute zum erſtenmal eine
Art von Antheil bekundete, konnte allen Sorgen und
Seufzern ein Ende machen.

Der Vater antwortete daher zuſtimmend, wenn
auch in der würdigſten Haltung. Gunſt und Vertrauen
wurden erwieſen, mehr als empfangen; nicht die glän¬
zender geſtellte Verwandtin, die zu einem Wunſche be¬
rechtigte Pathin war es, der man Folge leiſtete.

Längeres Bedenken erregte die Art der Beförde¬
rung. Das blutjunge Fräulein konnte nicht allein
und nicht in der gelben Poſtkutſche reiſen; der Vater,
wie er es am ſchicklichſten gefunden haben würde,
nicht die Begleitung übernehmen, da der Termin der
Einladung mit dem einer kurfürſtlichen Revue zuſam¬
menfiel, die Mutter aber kränkelte ſeit einiger Zeit,
und der Arzt hatte ihr das Fahren ſtrengſtens unterſagt.

10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="147"/>
war eben die reiche Gräfin von Reckenburg und nahe<lb/>
dem achtzig&#x017F;ten Jahre. Das Fräulein von Recken¬<lb/>
burg aber war ein blutarmes Ding, wenig begehrens¬<lb/>
werth für einen Freiersmann, und verlor es den Va¬<lb/>
ter, &#x017F;chutzlos der Welt gegenüber&#x017F;tehend. Mancher<lb/>
mütterliche Sorgen&#x017F;eufzer mochte in die&#x017F;er Aus&#x017F;icht in¬<lb/>
nerhalb der vertraulichen Rathskammer laut geworden<lb/>
&#x017F;ein. Eine Aus&#x017F;teuer, ein Legat von dem Ueberflu&#x017F;&#x017F;e<lb/>
der einzigen Verwandtin, die heute zum er&#x017F;tenmal eine<lb/>
Art von Antheil bekundete, konnte allen Sorgen und<lb/>
Seufzern ein Ende machen.</p><lb/>
        <p>Der Vater antwortete daher zu&#x017F;timmend, wenn<lb/>
auch in der würdig&#x017F;ten Haltung. Gun&#x017F;t und Vertrauen<lb/>
wurden erwie&#x017F;en, mehr als empfangen; nicht die glän¬<lb/>
zender ge&#x017F;tellte Verwandtin, die zu einem Wun&#x017F;che be¬<lb/>
rechtigte Pathin war es, der man Folge lei&#x017F;tete.</p><lb/>
        <p>Längeres Bedenken erregte die Art der Beförde¬<lb/>
rung. Das blutjunge Fräulein konnte nicht <hi rendition="#g">allein</hi><lb/>
und nicht in der gelben Po&#x017F;tkut&#x017F;che rei&#x017F;en; der Vater,<lb/>
wie er es am &#x017F;chicklich&#x017F;ten gefunden haben würde,<lb/>
nicht die Begleitung übernehmen, da der Termin der<lb/>
Einladung mit dem einer kurfür&#x017F;tlichen Revue zu&#x017F;am¬<lb/>
menfiel, die Mutter aber kränkelte &#x017F;eit einiger Zeit,<lb/>
und der Arzt hatte ihr das Fahren &#x017F;treng&#x017F;tens unter&#x017F;agt.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">10*<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0154] war eben die reiche Gräfin von Reckenburg und nahe dem achtzigſten Jahre. Das Fräulein von Recken¬ burg aber war ein blutarmes Ding, wenig begehrens¬ werth für einen Freiersmann, und verlor es den Va¬ ter, ſchutzlos der Welt gegenüberſtehend. Mancher mütterliche Sorgenſeufzer mochte in dieſer Ausſicht in¬ nerhalb der vertraulichen Rathskammer laut geworden ſein. Eine Ausſteuer, ein Legat von dem Ueberfluſſe der einzigen Verwandtin, die heute zum erſtenmal eine Art von Antheil bekundete, konnte allen Sorgen und Seufzern ein Ende machen. Der Vater antwortete daher zuſtimmend, wenn auch in der würdigſten Haltung. Gunſt und Vertrauen wurden erwieſen, mehr als empfangen; nicht die glän¬ zender geſtellte Verwandtin, die zu einem Wunſche be¬ rechtigte Pathin war es, der man Folge leiſtete. Längeres Bedenken erregte die Art der Beförde¬ rung. Das blutjunge Fräulein konnte nicht allein und nicht in der gelben Poſtkutſche reiſen; der Vater, wie er es am ſchicklichſten gefunden haben würde, nicht die Begleitung übernehmen, da der Termin der Einladung mit dem einer kurfürſtlichen Revue zuſam¬ menfiel, die Mutter aber kränkelte ſeit einiger Zeit, und der Arzt hatte ihr das Fahren ſtrengſtens unterſagt. 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/154
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/154>, abgerufen am 30.04.2024.