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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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lassen; aber das geschah, weil das Sonnenlicht ihre
Augen blendete und weil ein schlecht geheilter Knochen¬
bruch ihr jede Bewegung empfindlich machte. Ja, sie
hat die Nächte ohne Schlummer in ihrem Stuhle auf¬
recht gesessen, aber nur, weil asthmatische Beschwerden
ihr erst am Morgen ein paar Ruhestunden gönnten.
Ja, sie hat sich lange Jahre fast ausschließlich von
Grützbrei und Eicheltrank genährt, aber nur, weil der
Magen keine kräftigere Kost mehr duldete. Nicht un¬
erklärlicher Weise trotz ihrer Diät, sondern erklär¬
licher Weise wegen ihrer Diät hat sie sich das Da¬
sein über das gewöhnliche Menschenmaaß hinaus ge¬
fristet. Je einfacher wir, freiwillig oder gezwungen,
unsere Funktionen beschränken, um so zäher wird ja
das Leben. Menschen mit mangelnden Sinnen dauern
gemeinhin länger als die mit allen Sinnen. Geizige,
das heißt Menschen mit verknöchertem Herzen, werden
fast immer uralt.

Und so möge denn auch zugestanden sein, daß die
seltsame Gründerin und Erhalterin der Reckenburg als
solch eine verknöcherte Geizige in die Grube gefahren
ist. Wie sie aber von einem reichen Eingange zu sol¬
chem armseligen Ausgang gelangen konnte, das erkläre
Euch ein Blick über ihren Lebenslauf, der sich auch

laſſen; aber das geſchah, weil das Sonnenlicht ihre
Augen blendete und weil ein ſchlecht geheilter Knochen¬
bruch ihr jede Bewegung empfindlich machte. Ja, ſie
hat die Nächte ohne Schlummer in ihrem Stuhle auf¬
recht geſeſſen, aber nur, weil aſthmatiſche Beſchwerden
ihr erſt am Morgen ein paar Ruheſtunden gönnten.
Ja, ſie hat ſich lange Jahre faſt ausſchließlich von
Grützbrei und Eicheltrank genährt, aber nur, weil der
Magen keine kräftigere Koſt mehr duldete. Nicht un¬
erklärlicher Weiſe trotz ihrer Diät, ſondern erklär¬
licher Weiſe wegen ihrer Diät hat ſie ſich das Da¬
ſein über das gewöhnliche Menſchenmaaß hinaus ge¬
friſtet. Je einfacher wir, freiwillig oder gezwungen,
unſere Funktionen beſchränken, um ſo zäher wird ja
das Leben. Menſchen mit mangelnden Sinnen dauern
gemeinhin länger als die mit allen Sinnen. Geizige,
das heißt Menſchen mit verknöchertem Herzen, werden
faſt immer uralt.

Und ſo möge denn auch zugeſtanden ſein, daß die
ſeltſame Gründerin und Erhalterin der Reckenburg als
ſolch eine verknöcherte Geizige in die Grube gefahren
iſt. Wie ſie aber von einem reichen Eingange zu ſol¬
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[159/0166] laſſen; aber das geſchah, weil das Sonnenlicht ihre Augen blendete und weil ein ſchlecht geheilter Knochen¬ bruch ihr jede Bewegung empfindlich machte. Ja, ſie hat die Nächte ohne Schlummer in ihrem Stuhle auf¬ recht geſeſſen, aber nur, weil aſthmatiſche Beſchwerden ihr erſt am Morgen ein paar Ruheſtunden gönnten. Ja, ſie hat ſich lange Jahre faſt ausſchließlich von Grützbrei und Eicheltrank genährt, aber nur, weil der Magen keine kräftigere Koſt mehr duldete. Nicht un¬ erklärlicher Weiſe trotz ihrer Diät, ſondern erklär¬ licher Weiſe wegen ihrer Diät hat ſie ſich das Da¬ ſein über das gewöhnliche Menſchenmaaß hinaus ge¬ friſtet. Je einfacher wir, freiwillig oder gezwungen, unſere Funktionen beſchränken, um ſo zäher wird ja das Leben. Menſchen mit mangelnden Sinnen dauern gemeinhin länger als die mit allen Sinnen. Geizige, das heißt Menſchen mit verknöchertem Herzen, werden faſt immer uralt. Und ſo möge denn auch zugeſtanden ſein, daß die ſeltſame Gründerin und Erhalterin der Reckenburg als ſolch eine verknöcherte Geizige in die Grube gefahren iſt. Wie ſie aber von einem reichen Eingange zu ſol¬ chem armſeligen Ausgang gelangen konnte, das erkläre Euch ein Blick über ihren Lebenslauf, der ſich auch

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/166>, abgerufen am 30.04.2024.