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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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wie ich manches vererbte Unbequeme that und erhielt
-- aus Bequemlichkeit. Es war einmal da, es ge¬
nügte mir. Ich that es aber auch mit der Absicht,
das böse Ding allmälig seines gespenstischen Nimbus
zu entkleiden. In diesem alten Gehäuse hatte die Gräfin
ihren Einzug in Reckenburg gehalten, war in der er¬
sten Zeit ihrer Herrschaft hinter von Außen her ver¬
hüllenden Gardinen bei ihren Flurbesichtigungen ver¬
muthet worden. In ihm folgte ich, als einzige Leid¬
tragende, ihrem Leichenzuge. Daß die Schimmel und
Heiducken von 1750 und 1806 nicht die nämlichen
waren, sondern nur von möglichst ähnlichem Caliber
und nur mit dem silberbeschlagenen Geschirr und der
silberstrotzenden Livree ihrer sehr sterblichen Vorgän¬
ger behängt, brauche ich Euch nicht zu versichern.

Und wie mit der Unsterblichkeit der Schimmel
und Heiducken, wie mit der alten schwarzen Recken¬
burgerin selbst, wird es auch mit allen ihren übrigen
Seltsamkeiten eine natürliche Bewandtniß haben. Der
Mensch, welcher sich aus Neigung oder Fügung dem
Tagestreiben entzieht, verfällt eben dem Vergessen oder
dem Märchensinn seiner Lebensgenossen.

Nun ja, sie hat in fast einem halben Jahrhun¬
dert ihre unzugängliche, dämmrige Klause nicht ver¬

wie ich manches vererbte Unbequeme that und erhielt
— aus Bequemlichkeit. Es war einmal da, es ge¬
nügte mir. Ich that es aber auch mit der Abſicht,
das böſe Ding allmälig ſeines geſpenſtiſchen Nimbus
zu entkleiden. In dieſem alten Gehäuſe hatte die Gräfin
ihren Einzug in Reckenburg gehalten, war in der er¬
ſten Zeit ihrer Herrſchaft hinter von Außen her ver¬
hüllenden Gardinen bei ihren Flurbeſichtigungen ver¬
muthet worden. In ihm folgte ich, als einzige Leid¬
tragende, ihrem Leichenzuge. Daß die Schimmel und
Heiducken von 1750 und 1806 nicht die nämlichen
waren, ſondern nur von möglichſt ähnlichem Caliber
und nur mit dem ſilberbeſchlagenen Geſchirr und der
ſilberſtrotzenden Livrée ihrer ſehr ſterblichen Vorgän¬
ger behängt, brauche ich Euch nicht zu verſichern.

Und wie mit der Unſterblichkeit der Schimmel
und Heiducken, wie mit der alten ſchwarzen Recken¬
burgerin ſelbſt, wird es auch mit allen ihren übrigen
Seltſamkeiten eine natürliche Bewandtniß haben. Der
Menſch, welcher ſich aus Neigung oder Fügung dem
Tagestreiben entzieht, verfällt eben dem Vergeſſen oder
dem Märchenſinn ſeiner Lebensgenoſſen.

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[158/0165] wie ich manches vererbte Unbequeme that und erhielt — aus Bequemlichkeit. Es war einmal da, es ge¬ nügte mir. Ich that es aber auch mit der Abſicht, das böſe Ding allmälig ſeines geſpenſtiſchen Nimbus zu entkleiden. In dieſem alten Gehäuſe hatte die Gräfin ihren Einzug in Reckenburg gehalten, war in der er¬ ſten Zeit ihrer Herrſchaft hinter von Außen her ver¬ hüllenden Gardinen bei ihren Flurbeſichtigungen ver¬ muthet worden. In ihm folgte ich, als einzige Leid¬ tragende, ihrem Leichenzuge. Daß die Schimmel und Heiducken von 1750 und 1806 nicht die nämlichen waren, ſondern nur von möglichſt ähnlichem Caliber und nur mit dem ſilberbeſchlagenen Geſchirr und der ſilberſtrotzenden Livrée ihrer ſehr ſterblichen Vorgän¬ ger behängt, brauche ich Euch nicht zu verſichern. Und wie mit der Unſterblichkeit der Schimmel und Heiducken, wie mit der alten ſchwarzen Recken¬ burgerin ſelbſt, wird es auch mit allen ihren übrigen Seltſamkeiten eine natürliche Bewandtniß haben. Der Menſch, welcher ſich aus Neigung oder Fügung dem Tagestreiben entzieht, verfällt eben dem Vergeſſen oder dem Märchenſinn ſeiner Lebensgenoſſen. Nun ja, ſie hat in faſt einem halben Jahrhun¬ dert ihre unzugängliche, dämmrige Klauſe nicht ver¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/165>, abgerufen am 30.04.2024.