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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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abgetragen werden, schon eine regelmäßige Verzinsung
galt in jener geldarmen Zeit als eine vielgesuchte
Gunst.

Und wie auch in anderer Weise das allgemeine
Elend dem Gedeihen des Einzelnen in die Hand ar¬
beitete, das zeigt unter Anderem die Hungersnoth der
siebenziger Jahre, wo der Scheffel Roggen auf zwanzig
Thaler stieg. Calculirt, wie da die strotzenden Speicher
der Reckenburg -- in Staat und Volk die Wirth¬
schaftsmaxime einer schwer beweglichen Zeit, -- sich
leeren und die entleerten Geldtruhen sich strotzend füllen
mußten. Wo Tauben nisten, flattern Tauben zu!

"Die ersten hunderttausend Thaler kosten Schweiß.
Wem aber die nächsten Neunmalhunderttausend Schweiß
kosten, ist ein Tropf!"

Als die Millionairin der Reckenburg in ihrem
letzten Stadium, mit funkelnden Augen mir dieses Ge¬
ständniß ablegte, da war sie in Wahrheit die ver¬
knöcherte Mumie, deren Herz nur noch in der Wacht
über ihre Schätze schlug. Zu der Zeit aber, als sie
diese Schätze mühsam erarbeitete, und selber zu der
noch, als sie mich zuerst in die Geheimnisse ihres
Goldthurmes einweihte, da war sie diese herz- und
geistlose Mumie nicht, denn damals schaffte, darbte,

abgetragen werden, ſchon eine regelmäßige Verzinſung
galt in jener geldarmen Zeit als eine vielgeſuchte
Gunſt.

Und wie auch in anderer Weiſe das allgemeine
Elend dem Gedeihen des Einzelnen in die Hand ar¬
beitete, das zeigt unter Anderem die Hungersnoth der
ſiebenziger Jahre, wo der Scheffel Roggen auf zwanzig
Thaler ſtieg. Calculirt, wie da die ſtrotzenden Speicher
der Reckenburg — in Staat und Volk die Wirth¬
ſchaftsmaxime einer ſchwer beweglichen Zeit, — ſich
leeren und die entleerten Geldtruhen ſich ſtrotzend füllen
mußten. Wo Tauben niſten, flattern Tauben zu!

„Die erſten hunderttauſend Thaler koſten Schweiß.
Wem aber die nächſten Neunmalhunderttauſend Schweiß
koſten, iſt ein Tropf!“

Als die Millionairin der Reckenburg in ihrem
letzten Stadium, mit funkelnden Augen mir dieſes Ge¬
ſtändniß ablegte, da war ſie in Wahrheit die ver¬
knöcherte Mumie, deren Herz nur noch in der Wacht
über ihre Schätze ſchlug. Zu der Zeit aber, als ſie
dieſe Schätze mühſam erarbeitete, und ſelber zu der
noch, als ſie mich zuerſt in die Geheimniſſe ihres
Goldthurmes einweihte, da war ſie dieſe herz- und
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[174/0181] abgetragen werden, ſchon eine regelmäßige Verzinſung galt in jener geldarmen Zeit als eine vielgeſuchte Gunſt. Und wie auch in anderer Weiſe das allgemeine Elend dem Gedeihen des Einzelnen in die Hand ar¬ beitete, das zeigt unter Anderem die Hungersnoth der ſiebenziger Jahre, wo der Scheffel Roggen auf zwanzig Thaler ſtieg. Calculirt, wie da die ſtrotzenden Speicher der Reckenburg — in Staat und Volk die Wirth¬ ſchaftsmaxime einer ſchwer beweglichen Zeit, — ſich leeren und die entleerten Geldtruhen ſich ſtrotzend füllen mußten. Wo Tauben niſten, flattern Tauben zu! „Die erſten hunderttauſend Thaler koſten Schweiß. Wem aber die nächſten Neunmalhunderttauſend Schweiß koſten, iſt ein Tropf!“ Als die Millionairin der Reckenburg in ihrem letzten Stadium, mit funkelnden Augen mir dieſes Ge¬ ſtändniß ablegte, da war ſie in Wahrheit die ver¬ knöcherte Mumie, deren Herz nur noch in der Wacht über ihre Schätze ſchlug. Zu der Zeit aber, als ſie dieſe Schätze mühſam erarbeitete, und ſelber zu der noch, als ſie mich zuerſt in die Geheimniſſe ihres Goldthurmes einweihte, da war ſie dieſe herz- und geiſtloſe Mumie nicht, denn damals ſchaffte, darbte,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/181>, abgerufen am 30.04.2024.