mir zu Fremden gemacht. Ich würde heute Siegmund Faber ohne Verlegenheit gegenüber getreten sein und ihm erforderlichen Falls Rede gestanden, mit Dorotheen aber die Lage der Dinge gelassen, unter Berücksichti¬ gung ihrer Natur und Stellung, besprochen haben. Ja, wie ich so im Abenddunkel die Flucht der Straßen entlang schritt, da kam mir wiederholt der Zweifel, ob meine erste Entscheidung über das Schicksal ihres Sohnes nicht die richtige gewesen sei; ob der Todt¬ gewähnte nicht ein Todter für sie hätte bleiben sollen?
Indessen der Affekt hatte mich einmal zu dieser Erweckung des Mutterherzens getrieben, und wir sind ja so leicht geneigt, hinter derlei persönlichen Einge¬ bungen eine ahnungsvolle Fügung vorauszusetzen. Jedenfalls konnte die Stimmung für meine Botschaft geprüft und eine fernere Maßregel mir überlassen bleiben.
Als ich mich dem Faber'schen Hause näherte, fand ich das Straßenpflaster mit Stroh belegt und bemerkte, daß die Vorübergehenden gruppenweise zusammentra¬ ten, oder mit Neugier nach dem matterleuchteten ersten Stockwerk deuteten. Auch einige unzusammenhängende Bemerkungen fing ich im Vorübergehen auf. "Hier aus diesem Fenster! -- Der Mann kam dazu, der arme Mann!"
mir zu Fremden gemacht. Ich würde heute Siegmund Faber ohne Verlegenheit gegenüber getreten ſein und ihm erforderlichen Falls Rede geſtanden, mit Dorotheen aber die Lage der Dinge gelaſſen, unter Berückſichti¬ gung ihrer Natur und Stellung, beſprochen haben. Ja, wie ich ſo im Abenddunkel die Flucht der Straßen entlang ſchritt, da kam mir wiederholt der Zweifel, ob meine erſte Entſcheidung über das Schickſal ihres Sohnes nicht die richtige geweſen ſei; ob der Todt¬ gewähnte nicht ein Todter für ſie hätte bleiben ſollen?
Indeſſen der Affekt hatte mich einmal zu dieſer Erweckung des Mutterherzens getrieben, und wir ſind ja ſo leicht geneigt, hinter derlei perſönlichen Einge¬ bungen eine ahnungsvolle Fügung vorauszuſetzen. Jedenfalls konnte die Stimmung für meine Botſchaft geprüft und eine fernere Maßregel mir überlaſſen bleiben.
Als ich mich dem Faber'ſchen Hauſe näherte, fand ich das Straßenpflaſter mit Stroh belegt und bemerkte, daß die Vorübergehenden gruppenweiſe zuſammentra¬ ten, oder mit Neugier nach dem matterleuchteten erſten Stockwerk deuteten. Auch einige unzuſammenhängende Bemerkungen fing ich im Vorübergehen auf. „Hier aus dieſem Fenſter! — Der Mann kam dazu, der arme Mann!“
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mir zu Fremden gemacht. Ich würde heute Siegmund
Faber ohne Verlegenheit gegenüber getreten ſein und
ihm erforderlichen Falls Rede geſtanden, mit Dorotheen
aber die Lage der Dinge gelaſſen, unter Berückſichti¬
gung ihrer Natur und Stellung, beſprochen haben.
Ja, wie ich ſo im Abenddunkel die Flucht der Straßen
entlang ſchritt, da kam mir wiederholt der Zweifel, ob
meine erſte Entſcheidung über das Schickſal ihres
Sohnes nicht die richtige geweſen ſei; ob der Todt¬
gewähnte nicht ein Todter für ſie hätte bleiben ſollen?
Indeſſen der Affekt hatte mich einmal zu dieſer
Erweckung des Mutterherzens getrieben, und wir ſind
ja ſo leicht geneigt, hinter derlei perſönlichen Einge¬
bungen eine ahnungsvolle Fügung vorauszuſetzen.
Jedenfalls konnte die Stimmung für meine Botſchaft
geprüft und eine fernere Maßregel mir überlaſſen bleiben.
Als ich mich dem Faber'ſchen Hauſe näherte, fand
ich das Straßenpflaſter mit Stroh belegt und bemerkte,
daß die Vorübergehenden gruppenweiſe zuſammentra¬
ten, oder mit Neugier nach dem matterleuchteten erſten
Stockwerk deuteten. Auch einige unzuſammenhängende
Bemerkungen fing ich im Vorübergehen auf. „Hier
aus dieſem Fenſter! — Der Mann kam dazu, der
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/195>, abgerufen am 23.04.2021.
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