Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Schriften und Charakter.
als der Eifer der Andern, die diese Einsichten
brauchen wollen, ohne auf ihre Quelle zurückzu-
gehn; weil diese nur durch das Gewicht der Wahr-
heit können gerührt werden, jene aber noch das
äußere Ansehen einer göttlichen Ueberlieferung die-
ser Wahrheiten hinzuthun.

Gellert glaubte von ganzem Herzen alle Leh-
ren unserer Religion. Diese Anhänglichkeit an
die Wahrheit, die bey vielen Menschen aus eben
den Ursachen entsteht, aus welchen sie die Irr-
thümer und Vorurtheile nicht ablegen, weil sie
sie sehr früh bekommen und im Alter niemals
darüber nachgedacht haben, entstund bey Geller-
ten aus dem herrschenden Grundsatze der Pflicht,
und dem bescheidenen Gebrauche seiner Vernunft.
Der Grundsatz der Pflicht machte, daß alle Be-
weise bey ihm mehr galten, wenn sie auf Fest-
setzung irgend einer Verbindlichkeit abzielten; daß
er schon zum voraus geneigt war, jede Wahr-
scheinlichkeit anzunehmen, die Lehren der Gottse-
ligkeit bestätigte; und daß er selbst in den klein-
sten Theilen des Gebäudes seiner Religion, deren

deſſen Schriften und Charakter.
als der Eifer der Andern, die dieſe Einſichten
brauchen wollen, ohne auf ihre Quelle zuruͤckzu-
gehn; weil dieſe nur durch das Gewicht der Wahr-
heit koͤnnen geruͤhrt werden, jene aber noch das
aͤußere Anſehen einer goͤttlichen Ueberlieferung die-
ſer Wahrheiten hinzuthun.

Gellert glaubte von ganzem Herzen alle Leh-
ren unſerer Religion. Dieſe Anhaͤnglichkeit an
die Wahrheit, die bey vielen Menſchen aus eben
den Urſachen entſteht, aus welchen ſie die Irr-
thuͤmer und Vorurtheile nicht ablegen, weil ſie
ſie ſehr fruͤh bekommen und im Alter niemals
daruͤber nachgedacht haben, entſtund bey Geller-
ten aus dem herrſchenden Grundſatze der Pflicht,
und dem beſcheidenen Gebrauche ſeiner Vernunft.
Der Grundſatz der Pflicht machte, daß alle Be-
weiſe bey ihm mehr galten, wenn ſie auf Feſt-
ſetzung irgend einer Verbindlichkeit abzielten; daß
er ſchon zum voraus geneigt war, jede Wahr-
ſcheinlichkeit anzunehmen, die Lehren der Gottſe-
ligkeit beſtaͤtigte; und daß er ſelbſt in den klein-
ſten Theilen des Gebaͤudes ſeiner Religion, deren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="239"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">de&#x017F;&#x017F;en Schriften und Charakter.</hi></fw><lb/>
als der Eifer der An<hi rendition="#g">de</hi>rn, die die&#x017F;e Ein&#x017F;ichten<lb/>
brauchen wollen, ohne auf ihre Quelle zuru&#x0364;ckzu-<lb/>
gehn; weil die&#x017F;e nur durch das Gewicht der Wahr-<lb/>
heit ko&#x0364;nnen geru&#x0364;hrt werden, jene aber noch das<lb/>
a&#x0364;ußere An&#x017F;ehen einer go&#x0364;ttlichen Ueberlieferung die-<lb/>
&#x017F;er Wahrheiten hinzuthun.</p><lb/>
        <p>Gellert glaubte von ganzem Herzen alle Leh-<lb/>
ren un&#x017F;erer Religion. Die&#x017F;e Anha&#x0364;nglichkeit an<lb/>
die Wahrheit, die bey vielen Men&#x017F;chen aus eben<lb/>
den Ur&#x017F;achen ent&#x017F;teht, aus welchen &#x017F;ie die Irr-<lb/>
thu&#x0364;mer und Vorurtheile nicht ablegen, weil &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ehr fru&#x0364;h bekommen und im Alter niemals<lb/>
daru&#x0364;ber nachgedacht haben, ent&#x017F;tund bey Geller-<lb/>
ten aus dem herr&#x017F;chenden Grund&#x017F;atze der Pflicht,<lb/>
und dem be&#x017F;cheidenen Gebrauche &#x017F;einer Vernunft.<lb/>
Der Grund&#x017F;atz der Pflicht machte, daß alle Be-<lb/>
wei&#x017F;e bey ihm mehr galten, wenn &#x017F;ie auf Fe&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;etzung irgend einer Verbindlichkeit abzielten; daß<lb/>
er &#x017F;chon zum voraus geneigt war, jede Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit anzunehmen, die Lehren der Gott&#x017F;e-<lb/>
ligkeit be&#x017F;ta&#x0364;tigte; und daß er &#x017F;elb&#x017F;t in den klein-<lb/>
&#x017F;ten Theilen des Geba&#x0364;udes &#x017F;einer Religion, deren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0245] deſſen Schriften und Charakter. als der Eifer der Andern, die dieſe Einſichten brauchen wollen, ohne auf ihre Quelle zuruͤckzu- gehn; weil dieſe nur durch das Gewicht der Wahr- heit koͤnnen geruͤhrt werden, jene aber noch das aͤußere Anſehen einer goͤttlichen Ueberlieferung die- ſer Wahrheiten hinzuthun. Gellert glaubte von ganzem Herzen alle Leh- ren unſerer Religion. Dieſe Anhaͤnglichkeit an die Wahrheit, die bey vielen Menſchen aus eben den Urſachen entſteht, aus welchen ſie die Irr- thuͤmer und Vorurtheile nicht ablegen, weil ſie ſie ſehr fruͤh bekommen und im Alter niemals daruͤber nachgedacht haben, entſtund bey Geller- ten aus dem herrſchenden Grundſatze der Pflicht, und dem beſcheidenen Gebrauche ſeiner Vernunft. Der Grundſatz der Pflicht machte, daß alle Be- weiſe bey ihm mehr galten, wenn ſie auf Feſt- ſetzung irgend einer Verbindlichkeit abzielten; daß er ſchon zum voraus geneigt war, jede Wahr- ſcheinlichkeit anzunehmen, die Lehren der Gottſe- ligkeit beſtaͤtigte; und daß er ſelbſt in den klein- ſten Theilen des Gebaͤudes ſeiner Religion, deren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/245
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/245>, abgerufen am 27.04.2024.