Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
sich auf alle Theile der Staatsverwaltung erstreckt, sowie
nicht minder das Recht der Ministeranklage; hierzu
kommen dann noch besondere Befugnisse aus Anlass
eines Thronwechsels, des Eintritts einer Regentschaft
und anderer ausserordentlicher, das Staatsinteresse be-
rührender Ereignisse. 1

Die Gesammtheit aller dieser Rechte soll aber nach
Art. 57. der Wiener Schlussacte so geartet sein, dass
dadurch die Vereinigung der ganzen Staatsgewalt in der
Hand des Monarchen nicht gestört wird, vielmehr soll
sie nur die Bedeutung haben, dass das Staatsoberhaupt
in der Ausübung bestimmter Rechte an die Zustim-
mung der Stände gebunden ist. 2 Aber Nichts erscheint

1 Nebenrechte sind noch die den Ständen in manchen Ver-
fassungen beigelegten besonderen Befugnisse bezüglich der Ver-
waltung der Staatsschuld, der Ernennung der Beamten der Staats-
schuldenverwaltung u. s. w.
2 Daher haben die Stände selbst keinerlei Art unmittelbarer
Regierungsacte vorzunehmen und keinen Theil der Staatsgewalt
zu eigener Ausübung überkommen. Auch ihr Antheil an der
Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ist nicht der, dass sie die
Gesetzgeber oder Mitgesetzgeber wären, während dem Monarchen
etwa nur ein Veto zustände. Ihr Recht besteht allein darin, dass
der Monarch die in der Verfassung bestimmten Regierungshand-
lungen nicht anders als mit ihrer Genehmigung vornehmen kann.
-- Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint die seit 1848 mehrfach
geschehene Verleihung des Rechts der Initiative an die Stände, so
wenig fruchtbar es auch sein mag, principiell bedenklich (siehe
die richtige Würdigung dieses Punkts bei Zöpfl, Staatsrecht,
§. 372., Held, Verfassungsrecht II., S. 486 flg., Mohl, Staats-
recht, Völkerrecht, Politik, Bd. 2. S. 518 flg.). Obschon die Fest-
setzung des Art. 57. der Wiener Schlussaete das Princip der Thei-
lung der Gewalten und der parlamentarischen Regierung grund-
sätzlich verneint, so haben, wie nicht zu verkennen ist, einzelne
seit dem Jahre 1848 entstandene oder veränderte Verfassungen

Zweiter Abschnitt.
sich auf alle Theile der Staatsverwaltung erstreckt, sowie
nicht minder das Recht der Ministeranklage; hierzu
kommen dann noch besondere Befugnisse aus Anlass
eines Thronwechsels, des Eintritts einer Regentschaft
und anderer ausserordentlicher, das Staatsinteresse be-
rührender Ereignisse. 1

Die Gesammtheit aller dieser Rechte soll aber nach
Art. 57. der Wiener Schlussacte so geartet sein, dass
dadurch die Vereinigung der ganzen Staatsgewalt in der
Hand des Monarchen nicht gestört wird, vielmehr soll
sie nur die Bedeutung haben, dass das Staatsoberhaupt
in der Ausübung bestimmter Rechte an die Zustim-
mung der Stände gebunden ist. 2 Aber Nichts erscheint

1 Nebenrechte sind noch die den Ständen in manchen Ver-
fassungen beigelegten besonderen Befugnisse bezüglich der Ver-
waltung der Staatsschuld, der Ernennung der Beamten der Staats-
schuldenverwaltung u. s. w.
2 Daher haben die Stände selbst keinerlei Art unmittelbarer
Regierungsacte vorzunehmen und keinen Theil der Staatsgewalt
zu eigener Ausübung überkommen. Auch ihr Antheil an der
Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ist nicht der, dass sie die
Gesetzgeber oder Mitgesetzgeber wären, während dem Monarchen
etwa nur ein Veto zustände. Ihr Recht besteht allein darin, dass
der Monarch die in der Verfassung bestimmten Regierungshand-
lungen nicht anders als mit ihrer Genehmigung vornehmen kann.
— Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint die seit 1848 mehrfach
geschehene Verleihung des Rechts der Initiative an die Stände, so
wenig fruchtbar es auch sein mag, principiell bedenklich (siehe
die richtige Würdigung dieses Punkts bei Zöpfl, Staatsrecht,
§. 372., Held, Verfassungsrecht II., S. 486 flg., Mohl, Staats-
recht, Völkerrecht, Politik, Bd. 2. S. 518 flg.). Obschon die Fest-
setzung des Art. 57. der Wiener Schlussaete das Princip der Thei-
lung der Gewalten und der parlamentarischen Regierung grund-
sätzlich verneint, so haben, wie nicht zu verkennen ist, einzelne
seit dem Jahre 1848 entstandene oder veränderte Verfassungen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0142" n="124"/><fw place="top" type="header">Zweiter Abschnitt.</fw><lb/>
sich auf alle Theile der Staatsverwaltung erstreckt, sowie<lb/>
nicht minder das Recht der Ministeranklage; hierzu<lb/>
kommen dann noch besondere Befugnisse aus Anlass<lb/>
eines Thronwechsels, des Eintritts einer Regentschaft<lb/>
und anderer ausserordentlicher, das Staatsinteresse be-<lb/>
rührender Ereignisse. <note place="foot" n="1">Nebenrechte sind noch die den Ständen in manchen Ver-<lb/>
fassungen beigelegten besonderen Befugnisse bezüglich der Ver-<lb/>
waltung der Staatsschuld, der Ernennung der Beamten der Staats-<lb/>
schuldenverwaltung u. s. w.</note></p><lb/>
              <p>Die Gesammtheit aller dieser Rechte soll aber nach<lb/>
Art. 57. der Wiener Schlussacte so geartet sein, dass<lb/>
dadurch die Vereinigung der ganzen Staatsgewalt in der<lb/>
Hand des Monarchen nicht gestört wird, vielmehr soll<lb/>
sie nur die Bedeutung haben, dass das Staatsoberhaupt<lb/>
in der Ausübung bestimmter Rechte an die Zustim-<lb/>
mung der Stände gebunden ist. <note xml:id="note-0142" next="#note-0143" place="foot" n="2">Daher haben die Stände selbst keinerlei Art unmittelbarer<lb/>
Regierungsacte vorzunehmen und keinen Theil der Staatsgewalt<lb/>
zu eigener Ausübung überkommen. Auch ihr Antheil an der<lb/>
Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ist nicht der, dass sie die<lb/>
Gesetzgeber oder Mitgesetzgeber wären, während dem Monarchen<lb/>
etwa nur ein Veto zustände. Ihr Recht besteht allein darin, dass<lb/>
der Monarch die in der Verfassung bestimmten Regierungshand-<lb/>
lungen nicht anders als mit ihrer Genehmigung vornehmen kann.<lb/>
&#x2014; Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint die seit 1848 mehrfach<lb/>
geschehene Verleihung des Rechts der Initiative an die Stände, so<lb/>
wenig fruchtbar es auch sein mag, principiell bedenklich (siehe<lb/>
die richtige Würdigung dieses Punkts bei <hi rendition="#g">Zöpfl,</hi> Staatsrecht,<lb/>
§. 372., <hi rendition="#g">Held,</hi> Verfassungsrecht II., S. 486 flg., <hi rendition="#g">Mohl,</hi> Staats-<lb/>
recht, Völkerrecht, Politik, Bd. 2. S. 518 flg.). Obschon die Fest-<lb/>
setzung des Art. 57. der Wiener Schlussaete das Princip der Thei-<lb/>
lung der Gewalten und der parlamentarischen Regierung grund-<lb/>
sätzlich verneint, so haben, wie nicht zu verkennen ist, einzelne<lb/>
seit dem Jahre 1848 entstandene oder veränderte Verfassungen</note> Aber Nichts erscheint<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0142] Zweiter Abschnitt. sich auf alle Theile der Staatsverwaltung erstreckt, sowie nicht minder das Recht der Ministeranklage; hierzu kommen dann noch besondere Befugnisse aus Anlass eines Thronwechsels, des Eintritts einer Regentschaft und anderer ausserordentlicher, das Staatsinteresse be- rührender Ereignisse. 1 Die Gesammtheit aller dieser Rechte soll aber nach Art. 57. der Wiener Schlussacte so geartet sein, dass dadurch die Vereinigung der ganzen Staatsgewalt in der Hand des Monarchen nicht gestört wird, vielmehr soll sie nur die Bedeutung haben, dass das Staatsoberhaupt in der Ausübung bestimmter Rechte an die Zustim- mung der Stände gebunden ist. 2 Aber Nichts erscheint 1 Nebenrechte sind noch die den Ständen in manchen Ver- fassungen beigelegten besonderen Befugnisse bezüglich der Ver- waltung der Staatsschuld, der Ernennung der Beamten der Staats- schuldenverwaltung u. s. w. 2 Daher haben die Stände selbst keinerlei Art unmittelbarer Regierungsacte vorzunehmen und keinen Theil der Staatsgewalt zu eigener Ausübung überkommen. Auch ihr Antheil an der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ist nicht der, dass sie die Gesetzgeber oder Mitgesetzgeber wären, während dem Monarchen etwa nur ein Veto zustände. Ihr Recht besteht allein darin, dass der Monarch die in der Verfassung bestimmten Regierungshand- lungen nicht anders als mit ihrer Genehmigung vornehmen kann. — Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint die seit 1848 mehrfach geschehene Verleihung des Rechts der Initiative an die Stände, so wenig fruchtbar es auch sein mag, principiell bedenklich (siehe die richtige Würdigung dieses Punkts bei Zöpfl, Staatsrecht, §. 372., Held, Verfassungsrecht II., S. 486 flg., Mohl, Staats- recht, Völkerrecht, Politik, Bd. 2. S. 518 flg.). Obschon die Fest- setzung des Art. 57. der Wiener Schlussaete das Princip der Thei- lung der Gewalten und der parlamentarischen Regierung grund- sätzlich verneint, so haben, wie nicht zu verkennen ist, einzelne seit dem Jahre 1848 entstandene oder veränderte Verfassungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/142
Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/142>, abgerufen am 28.04.2024.