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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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§. 40. Die Landstände.
schwerer, als eine Sicherung der Befriedigung dieser
Forderung im Leben. Es ist unmöglich, die Gränzen
der landständischen Rechte im Voraus für alle einzelnen
Fälle so genau und scharf zu ziehen, dass jedem Zwei-
fel über den Umfang derselben vorgebeugt wäre, sowie
denn auch eine zu grosse Aengstlichkeit dieser Gränz-
bestimmung ein Princip des Misstrauens sanctioniren
würde, das nirgends weniger als hier könnte ertragen
werden. In Folge davon wird in den Grundgesetzen
der Umfang der landständischen Befugnisse, namentlich
in Rücksicht auf die Ordnung des Staatshaushalts in
der Regel so allgemein bezeichnet, dass Landstände,
welche die hieraus deducirten Consequenzen masslos
ausbeuten wollen, leicht das verfassungsmässige Ver-
hältniss der beiden Organe zu verrücken, oder doch
einen das innerste Leben des Staats erschütternden
Conflict hervorzurufen vermögen. Eine Lösung dieser
Schwierigkeit könnte nur von einer weisen Mässigung
beider Theile erwartet werden, welche in einzelnen
Fällen einen Vergleich der schroffen Behauptung ein-
genommener Standpunkte vorzuziehen heisst, und daran
erinnert, dass Verbindungen, welche auf fortgesetztes
Vertragen hinweisen, nicht bestehen können, wenn ein
Theil oder beide Theile alles und jedes Recht, das ihnen
irgendwie zustehen möchte, auch jederzeit ausüben zu
müssen vermeinen. 3 Muss aber ein Conflict über die

doch diesen Standpunkt zum Theil verlassen. Auch der Art. 62. der
Preuss. Verfassung scheint damit im Widerspruche zu stehen.
3 Nichts characterisirt das Wesen der constitutionellen Ver-
fassung mehr, als das im Texte dargestellte Verhältniss. Wie in
den übrigen organischen Rechtsverhältnissen -- z. B. der Ehe --,

§. 40. Die Landstände.
schwerer, als eine Sicherung der Befriedigung dieser
Forderung im Leben. Es ist unmöglich, die Gränzen
der landständischen Rechte im Voraus für alle einzelnen
Fälle so genau und scharf zu ziehen, dass jedem Zwei-
fel über den Umfang derselben vorgebeugt wäre, sowie
denn auch eine zu grosse Aengstlichkeit dieser Gränz-
bestimmung ein Princip des Misstrauens sanctioniren
würde, das nirgends weniger als hier könnte ertragen
werden. In Folge davon wird in den Grundgesetzen
der Umfang der landständischen Befugnisse, namentlich
in Rücksicht auf die Ordnung des Staatshaushalts in
der Regel so allgemein bezeichnet, dass Landstände,
welche die hieraus deducirten Consequenzen masslos
ausbeuten wollen, leicht das verfassungsmässige Ver-
hältniss der beiden Organe zu verrücken, oder doch
einen das innerste Leben des Staats erschütternden
Conflict hervorzurufen vermögen. Eine Lösung dieser
Schwierigkeit könnte nur von einer weisen Mässigung
beider Theile erwartet werden, welche in einzelnen
Fällen einen Vergleich der schroffen Behauptung ein-
genommener Standpunkte vorzuziehen heisst, und daran
erinnert, dass Verbindungen, welche auf fortgesetztes
Vertragen hinweisen, nicht bestehen können, wenn ein
Theil oder beide Theile alles und jedes Recht, das ihnen
irgendwie zustehen möchte, auch jederzeit ausüben zu
müssen vermeinen. 3 Muss aber ein Conflict über die

doch diesen Standpunkt zum Theil verlassen. Auch der Art. 62. der
Preuss. Verfassung scheint damit im Widerspruche zu stehen.
3 Nichts characterisirt das Wesen der constitutionellen Ver-
fassung mehr, als das im Texte dargestellte Verhältniss. Wie in
den übrigen organischen Rechtsverhältnissen — z. B. der Ehe —,
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[125/0143] §. 40. Die Landstände. schwerer, als eine Sicherung der Befriedigung dieser Forderung im Leben. Es ist unmöglich, die Gränzen der landständischen Rechte im Voraus für alle einzelnen Fälle so genau und scharf zu ziehen, dass jedem Zwei- fel über den Umfang derselben vorgebeugt wäre, sowie denn auch eine zu grosse Aengstlichkeit dieser Gränz- bestimmung ein Princip des Misstrauens sanctioniren würde, das nirgends weniger als hier könnte ertragen werden. In Folge davon wird in den Grundgesetzen der Umfang der landständischen Befugnisse, namentlich in Rücksicht auf die Ordnung des Staatshaushalts in der Regel so allgemein bezeichnet, dass Landstände, welche die hieraus deducirten Consequenzen masslos ausbeuten wollen, leicht das verfassungsmässige Ver- hältniss der beiden Organe zu verrücken, oder doch einen das innerste Leben des Staats erschütternden Conflict hervorzurufen vermögen. Eine Lösung dieser Schwierigkeit könnte nur von einer weisen Mässigung beider Theile erwartet werden, welche in einzelnen Fällen einen Vergleich der schroffen Behauptung ein- genommener Standpunkte vorzuziehen heisst, und daran erinnert, dass Verbindungen, welche auf fortgesetztes Vertragen hinweisen, nicht bestehen können, wenn ein Theil oder beide Theile alles und jedes Recht, das ihnen irgendwie zustehen möchte, auch jederzeit ausüben zu müssen vermeinen. 3 Muss aber ein Conflict über die 2 3 Nichts characterisirt das Wesen der constitutionellen Ver- fassung mehr, als das im Texte dargestellte Verhältniss. Wie in den übrigen organischen Rechtsverhältnissen — z. B. der Ehe —, 2 doch diesen Standpunkt zum Theil verlassen. Auch der Art. 62. der Preuss. Verfassung scheint damit im Widerspruche zu stehen.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/143>, abgerufen am 27.04.2024.