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Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.

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Einleitung.
sie ist zugleich die Möglichkeit und Richtung eines wis-
senschaftlichen, d. h. durch einen einheitlichen Gedanken
beherrschten Systems gegeben.

Ist hiernach das Staatsrecht die Lehre von der recht-
lichen Bestimmung des staatlichen Lebensorganismus,
so gehört dahin auch nur die Entwickelung derjenigen
Rechtssätze und Rechtsinstitute, welche sich unmittelbar
auf die Lebens- und Willenskraft des Staats beziehen.2
Der Umstand allein, dass eine rechtliche Ordnung von
der Staatsgewalt ausgegangen und von ihr im öffent-
lichen Interesse geschaffen worden ist, kann demnach
noch kein Grund dafür sein, dass ihr Inhalt in das Bereich
des Staatsrechts gezogen werde. Das Strafgesetzbuch,
die verschiedenen Processordnungen, ferner die mannich-
fachen Ordnungen und Einrichtungen, welche man unter
dem Namen des Verwaltungsrechts zusammen zu fassen
pflegt, sind zwar Producte der wirkenden Staatsgewalt,

2 Das System des Privatrechts ist ein System von Willens-
möglichkeiten, welche durchweg an die Willensmacht der indivi-
duellen menschlichen (oder ihr nachgebildeten) Persönlichkeit an-
geknüpft sind. Auch das Staatsrecht ist ein System von Willens-
möglichkeiten, aber angeknüpft an die mit Persönlichkeit beklei-
dete Macht des politisch geeinten Volks. Sein Ausgangspunkt ist
mithin nicht wie die menschliche Persönlichkeit eine nach allen
Richtungen freie Willensmacht, sondern eine solche, die sich nur
innerhalb des Rahmens ihrer Zweckbestimmung bewegen kann.
Ihr rechtlicher Wille ist das Herrschen, d. h. rechtliches Han-
deln im Interesse des Staatszwecks mit einer das ganze Volk ver-
pflichtenden Wirkung. Man kann also auch sagen: das Staats-
recht ist die Lehre vom Staatswillen. -- Die weitere Rechtfertigung
und Begründung dieses Systems, wird aus der Darstellung des
Einzelnen hervorgehen. Angedeutet findet sich der Gedanke des-
selben wohl auch schon früher, aber nirgends in seiner eigent-
lichen Bedeutung gewürdigt und durchgeführt.

Einleitung.
sie ist zugleich die Möglichkeit und Richtung eines wis-
senschaftlichen, d. h. durch einen einheitlichen Gedanken
beherrschten Systems gegeben.

Ist hiernach das Staatsrecht die Lehre von der recht-
lichen Bestimmung des staatlichen Lebensorganismus,
so gehört dahin auch nur die Entwickelung derjenigen
Rechtssätze und Rechtsinstitute, welche sich unmittelbar
auf die Lebens- und Willenskraft des Staats beziehen.2
Der Umstand allein, dass eine rechtliche Ordnung von
der Staatsgewalt ausgegangen und von ihr im öffent-
lichen Interesse geschaffen worden ist, kann demnach
noch kein Grund dafür sein, dass ihr Inhalt in das Bereich
des Staatsrechts gezogen werde. Das Strafgesetzbuch,
die verschiedenen Processordnungen, ferner die mannich-
fachen Ordnungen und Einrichtungen, welche man unter
dem Namen des Verwaltungsrechts zusammen zu fassen
pflegt, sind zwar Producte der wirkenden Staatsgewalt,

2 Das System des Privatrechts ist ein System von Willens-
möglichkeiten, welche durchweg an die Willensmacht der indivi-
duellen menschlichen (oder ihr nachgebildeten) Persönlichkeit an-
geknüpft sind. Auch das Staatsrecht ist ein System von Willens-
möglichkeiten, aber angeknüpft an die mit Persönlichkeit beklei-
dete Macht des politisch geeinten Volks. Sein Ausgangspunkt ist
mithin nicht wie die menschliche Persönlichkeit eine nach allen
Richtungen freie Willensmacht, sondern eine solche, die sich nur
innerhalb des Rahmens ihrer Zweckbestimmung bewegen kann.
Ihr rechtlicher Wille ist das Herrschen, d. h. rechtliches Han-
deln im Interesse des Staatszwecks mit einer das ganze Volk ver-
pflichtenden Wirkung. Man kann also auch sagen: das Staats-
recht ist die Lehre vom Staatswillen. — Die weitere Rechtfertigung
und Begründung dieses Systems, wird aus der Darstellung des
Einzelnen hervorgehen. Angedeutet findet sich der Gedanke des-
selben wohl auch schon früher, aber nirgends in seiner eigent-
lichen Bedeutung gewürdigt und durchgeführt.
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[4/0022] Einleitung. sie ist zugleich die Möglichkeit und Richtung eines wis- senschaftlichen, d. h. durch einen einheitlichen Gedanken beherrschten Systems gegeben. Ist hiernach das Staatsrecht die Lehre von der recht- lichen Bestimmung des staatlichen Lebensorganismus, so gehört dahin auch nur die Entwickelung derjenigen Rechtssätze und Rechtsinstitute, welche sich unmittelbar auf die Lebens- und Willenskraft des Staats beziehen. 2 Der Umstand allein, dass eine rechtliche Ordnung von der Staatsgewalt ausgegangen und von ihr im öffent- lichen Interesse geschaffen worden ist, kann demnach noch kein Grund dafür sein, dass ihr Inhalt in das Bereich des Staatsrechts gezogen werde. Das Strafgesetzbuch, die verschiedenen Processordnungen, ferner die mannich- fachen Ordnungen und Einrichtungen, welche man unter dem Namen des Verwaltungsrechts zusammen zu fassen pflegt, sind zwar Producte der wirkenden Staatsgewalt, 2 Das System des Privatrechts ist ein System von Willens- möglichkeiten, welche durchweg an die Willensmacht der indivi- duellen menschlichen (oder ihr nachgebildeten) Persönlichkeit an- geknüpft sind. Auch das Staatsrecht ist ein System von Willens- möglichkeiten, aber angeknüpft an die mit Persönlichkeit beklei- dete Macht des politisch geeinten Volks. Sein Ausgangspunkt ist mithin nicht wie die menschliche Persönlichkeit eine nach allen Richtungen freie Willensmacht, sondern eine solche, die sich nur innerhalb des Rahmens ihrer Zweckbestimmung bewegen kann. Ihr rechtlicher Wille ist das Herrschen, d. h. rechtliches Han- deln im Interesse des Staatszwecks mit einer das ganze Volk ver- pflichtenden Wirkung. Man kann also auch sagen: das Staats- recht ist die Lehre vom Staatswillen. — Die weitere Rechtfertigung und Begründung dieses Systems, wird aus der Darstellung des Einzelnen hervorgehen. Angedeutet findet sich der Gedanke des- selben wohl auch schon früher, aber nirgends in seiner eigent- lichen Bedeutung gewürdigt und durchgeführt.

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Zitationshilfe: Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerber_staatsrecht_1865/22>, abgerufen am 29.04.2024.