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Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895.

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Körperschaften der Welt überreicht werde; und wir ersuchen
die Presse der gesamten zivilisierten Welt, die Aufmerksamkeit
ihrer Leser auf diese Resolution zu lenken."

Aber Nordamerika ist nicht das einzige Land, wo die
Frauen für ihre Sache kämpfen und Siege zu verzeichnen haben.
Mit Ausnahme der Türkei, Österreich-Ungarns und Deutsch-
lands haben alle europäischen Staaten den Frauen die Univer-
sitäten geöffnet, ja die Türkei steht insofern noch über Deutsch-
land und Österreich, als sie weibliche Ärzte staatlich angestellt
hat. -- Eine edle Hindufrau, Pundita Ramabai, erzählt, daß
zwar ihre Stammesgenossen gelehrte Frauen fürchten, denn sie
meinen, Gelehrsamkeit sei wie göttlicher Nektar, sie mache un-
überwindlich und unsterblich, was doch nur dem Manne zukäme,
daß aber schon im Jahre 1878 die indischen Universitäten
Frauen zuließen. Auch der Japanerin ist es nicht verwehrt, zu
studieren.

Kein Land aber steht in Bezug auf die den Frauen ge-
währten Rechte Amerika näher als England. Dem großen Vor-
kämpfer der Frauenbewegung, John Stuart Mill, ist dieser
Stand der Dinge nicht zum wenigsten zu verdanken. Aber
während er durch seine aufklärenden Schriften, durch seine
scharfen logischen Widerlegungen der Einwände der Gegner das
Rüstzeug schuf, durch das die Sache der Frauen unverwundbar
wurde, erwarben die Frauen sich durch ihre Leistungen die
Achtung der Gegner. Einige Beispiele werden genügen, um
darzuthun, in welcher Weise englische Frauen ihren sozialen
Pflichten nachgekommen sind. Jm Jahre 1870 legte Mrs. Jo-
sephine Butler die Präsidentschaft des Vereins für höhere Frauen-
bildung mit folgender Begründung nieder: "Jch fühle mich be-
rufen, mit den Unglücklichsten meiner Schwestern Seite an Seite,
Hand in Hand zu gehen, mit den Ausgestoßenen, den Opfern
unserer sozialen Sünden, deren Namen die gute Gesellschaft
nicht zu nennen wagt." Ganz allein begann sie ihr schweres
Werk; ihre Freunde verließen sie, die Masse des Volkes spottete
ihrer. Man begriff nicht, wie eine Frau der "guten Gesellschaft"
sich der Gefallenen annehmen könne. Sie ging in die verrufenen

Körperschaften der Welt überreicht werde; und wir ersuchen
die Presse der gesamten zivilisierten Welt, die Aufmerksamkeit
ihrer Leser auf diese Resolution zu lenken.‟

Aber Nordamerika ist nicht das einzige Land, wo die
Frauen für ihre Sache kämpfen und Siege zu verzeichnen haben.
Mit Ausnahme der Türkei, Österreich-Ungarns und Deutsch-
lands haben alle europäischen Staaten den Frauen die Univer-
sitäten geöffnet, ja die Türkei steht insofern noch über Deutsch-
land und Österreich, als sie weibliche Ärzte staatlich angestellt
hat. — Eine edle Hindufrau, Pundita Ramabai, erzählt, daß
zwar ihre Stammesgenossen gelehrte Frauen fürchten, denn sie
meinen, Gelehrsamkeit sei wie göttlicher Nektar, sie mache un-
überwindlich und unsterblich, was doch nur dem Manne zukäme,
daß aber schon im Jahre 1878 die indischen Universitäten
Frauen zuließen. Auch der Japanerin ist es nicht verwehrt, zu
studieren.

Kein Land aber steht in Bezug auf die den Frauen ge-
währten Rechte Amerika näher als England. Dem großen Vor-
kämpfer der Frauenbewegung, John Stuart Mill, ist dieser
Stand der Dinge nicht zum wenigsten zu verdanken. Aber
während er durch seine aufklärenden Schriften, durch seine
scharfen logischen Widerlegungen der Einwände der Gegner das
Rüstzeug schuf, durch das die Sache der Frauen unverwundbar
wurde, erwarben die Frauen sich durch ihre Leistungen die
Achtung der Gegner. Einige Beispiele werden genügen, um
darzuthun, in welcher Weise englische Frauen ihren sozialen
Pflichten nachgekommen sind. Jm Jahre 1870 legte Mrs. Jo-
sephine Butler die Präsidentschaft des Vereins für höhere Frauen-
bildung mit folgender Begründung nieder: „Jch fühle mich be-
rufen, mit den Unglücklichsten meiner Schwestern Seite an Seite,
Hand in Hand zu gehen, mit den Ausgestoßenen, den Opfern
unserer sozialen Sünden, deren Namen die gute Gesellschaft
nicht zu nennen wagt.‟ Ganz allein begann sie ihr schweres
Werk; ihre Freunde verließen sie, die Masse des Volkes spottete
ihrer. Man begriff nicht, wie eine Frau der „guten Gesellschaft‟
sich der Gefallenen annehmen könne. Sie ging in die verrufenen

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[12/0013] Körperschaften der Welt überreicht werde; und wir ersuchen die Presse der gesamten zivilisierten Welt, die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf diese Resolution zu lenken.‟ Aber Nordamerika ist nicht das einzige Land, wo die Frauen für ihre Sache kämpfen und Siege zu verzeichnen haben. Mit Ausnahme der Türkei, Österreich-Ungarns und Deutsch- lands haben alle europäischen Staaten den Frauen die Univer- sitäten geöffnet, ja die Türkei steht insofern noch über Deutsch- land und Österreich, als sie weibliche Ärzte staatlich angestellt hat. — Eine edle Hindufrau, Pundita Ramabai, erzählt, daß zwar ihre Stammesgenossen gelehrte Frauen fürchten, denn sie meinen, Gelehrsamkeit sei wie göttlicher Nektar, sie mache un- überwindlich und unsterblich, was doch nur dem Manne zukäme, daß aber schon im Jahre 1878 die indischen Universitäten Frauen zuließen. Auch der Japanerin ist es nicht verwehrt, zu studieren. Kein Land aber steht in Bezug auf die den Frauen ge- währten Rechte Amerika näher als England. Dem großen Vor- kämpfer der Frauenbewegung, John Stuart Mill, ist dieser Stand der Dinge nicht zum wenigsten zu verdanken. Aber während er durch seine aufklärenden Schriften, durch seine scharfen logischen Widerlegungen der Einwände der Gegner das Rüstzeug schuf, durch das die Sache der Frauen unverwundbar wurde, erwarben die Frauen sich durch ihre Leistungen die Achtung der Gegner. Einige Beispiele werden genügen, um darzuthun, in welcher Weise englische Frauen ihren sozialen Pflichten nachgekommen sind. Jm Jahre 1870 legte Mrs. Jo- sephine Butler die Präsidentschaft des Vereins für höhere Frauen- bildung mit folgender Begründung nieder: „Jch fühle mich be- rufen, mit den Unglücklichsten meiner Schwestern Seite an Seite, Hand in Hand zu gehen, mit den Ausgestoßenen, den Opfern unserer sozialen Sünden, deren Namen die gute Gesellschaft nicht zu nennen wagt.‟ Ganz allein begann sie ihr schweres Werk; ihre Freunde verließen sie, die Masse des Volkes spottete ihrer. Man begriff nicht, wie eine Frau der „guten Gesellschaft‟ sich der Gefallenen annehmen könne. Sie ging in die verrufenen

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Zitationshilfe: Gizycki, Lily von: Die Bürgerpflicht der Frau. Berlin, 1895, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gizycki_buergerpflicht_1895/13>, abgerufen am 26.04.2024.