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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom
Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels
Mark verzehrt, und wollte nun, leise um die Asche
flatternd, sich wieder von der Fessel reißen, in die ihn
der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath,
der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der
Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren,
und er traf nicht auf ein ermattetes Geschlecht; leben-
dige Sinne hatten diese Menschen um das Sinnliche
zu genießen, und es galt schweren Kampf zwischen
den beiden Welten, bis die Höhere siegte. Und das
eben macht die Zeiten so unendlich interessant und
rührend, diese starken Naturen demüthig, fromm und
hingegeben dem Heiligen zu sehen: denn es ist kein
erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die
Schwäche gebeugt in kraftloser Andacht verschwimmen;
aber wenn die Stärke sich selber zwingt, wenn das
Colossale den Nacken von Erz und die geharnischten
Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen sind,
aufrecht und stolz wie Götter über die Erde hin zu
gehen, freiwillig dem Unsichtbaren ohne Heuchelei sich
neigen, dann ist's ein freudiger Triumph der Idealität
im Menschen, und ein schöner Sieg des Göttlichen.
So war starker, rascher Heldensinn in dieser Zeit, mitten
in dem Feudalsystem, das sie itzt so erbittert schmähen,

So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom
Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels
Mark verzehrt, und wollte nun, leiſe um die Aſche
flatternd, ſich wieder von der Feſſel reißen, in die ihn
der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath,
der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der
Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren,
und er traf nicht auf ein ermattetes Geſchlecht; leben-
dige Sinne hatten dieſe Menſchen um das Sinnliche
zu genießen, und es galt ſchweren Kampf zwiſchen
den beiden Welten, bis die Höhere ſiegte. Und das
eben macht die Zeiten ſo unendlich intereſſant und
rührend, dieſe ſtarken Naturen demüthig, fromm und
hingegeben dem Heiligen zu ſehen: denn es iſt kein
erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die
Schwäche gebeugt in kraftloſer Andacht verſchwimmen;
aber wenn die Stärke ſich ſelber zwingt, wenn das
Coloſſale den Nacken von Erz und die geharniſchten
Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen ſind,
aufrecht und ſtolz wie Götter über die Erde hin zu
gehen, freiwillig dem Unſichtbaren ohne Heuchelei ſich
neigen, dann iſt’s ein freudiger Triumph der Idealität
im Menſchen, und ein ſchöner Sieg des Göttlichen.
So war ſtarker, raſcher Heldenſinn in dieſer Zeit, mitten
in dem Feudalſyſtem, das ſie itzt ſo erbittert ſchmähen,

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[274/0292] So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels Mark verzehrt, und wollte nun, leiſe um die Aſche flatternd, ſich wieder von der Feſſel reißen, in die ihn der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath, der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren, und er traf nicht auf ein ermattetes Geſchlecht; leben- dige Sinne hatten dieſe Menſchen um das Sinnliche zu genießen, und es galt ſchweren Kampf zwiſchen den beiden Welten, bis die Höhere ſiegte. Und das eben macht die Zeiten ſo unendlich intereſſant und rührend, dieſe ſtarken Naturen demüthig, fromm und hingegeben dem Heiligen zu ſehen: denn es iſt kein erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die Schwäche gebeugt in kraftloſer Andacht verſchwimmen; aber wenn die Stärke ſich ſelber zwingt, wenn das Coloſſale den Nacken von Erz und die geharniſchten Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen ſind, aufrecht und ſtolz wie Götter über die Erde hin zu gehen, freiwillig dem Unſichtbaren ohne Heuchelei ſich neigen, dann iſt’s ein freudiger Triumph der Idealität im Menſchen, und ein ſchöner Sieg des Göttlichen. So war ſtarker, raſcher Heldenſinn in dieſer Zeit, mitten in dem Feudalſyſtem, das ſie itzt ſo erbittert ſchmähen,

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/292>, abgerufen am 16.05.2024.