theilt ihn um des Vaters Segen. Esau er¬ grimmt und schwört dem Bruder den Tod, Jakob entflieht, um in dem Lande seiner Vor¬ fahren sein Glück zu versuchen.
Nun, zum ersten Mal in einer so edlen Fa¬ milie erscheint ein Glied, das kein Bedenken trägt, durch Klugheit und List die Vortheile zu erlangen, welche Natur und Zustände ihm ver¬ sagten. Es ist oft genug bemerkt und ausge¬ sprochen worden, daß die heiligen Schriften uns jene Erzväter und andere von Gott be¬ günstigte Männer keineswegs als Tugendbilder aufstellen wollen. Auch sie sind Menschen von den verschiedensten Charactern, mit mancherley Mängeln und Gebrechen; aber eine Haupt¬ eigenschaft darf solchen Männern nach dem Herzen Gottes nicht fehlen: es ist der uner¬ schütterliche Glaube, daß Gott sich ihrer und der Ihrigen besonders annehme.
Die allgemeine, die natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens: denn die
theilt ihn um des Vaters Segen. Eſau er¬ grimmt und ſchwoͤrt dem Bruder den Tod, Jakob entflieht, um in dem Lande ſeiner Vor¬ fahren ſein Gluͤck zu verſuchen.
Nun, zum erſten Mal in einer ſo edlen Fa¬ milie erſcheint ein Glied, das kein Bedenken traͤgt, durch Klugheit und Liſt die Vortheile zu erlangen, welche Natur und Zuſtaͤnde ihm ver¬ ſagten. Es iſt oft genug bemerkt und ausge¬ ſprochen worden, daß die heiligen Schriften uns jene Erzvaͤter und andere von Gott be¬ guͤnſtigte Maͤnner keineswegs als Tugendbilder aufſtellen wollen. Auch ſie ſind Menſchen von den verſchiedenſten Charactern, mit mancherley Maͤngeln und Gebrechen; aber eine Haupt¬ eigenſchaft darf ſolchen Maͤnnern nach dem Herzen Gottes nicht fehlen: es iſt der uner¬ ſchuͤtterliche Glaube, daß Gott ſich ihrer und der Ihrigen beſonders annehme.
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theilt ihn um des Vaters Segen. Eſau er¬
grimmt und ſchwoͤrt dem Bruder den Tod,
Jakob entflieht, um in dem Lande ſeiner Vor¬
fahren ſein Gluͤck zu verſuchen.
Nun, zum erſten Mal in einer ſo edlen Fa¬
milie erſcheint ein Glied, das kein Bedenken
traͤgt, durch Klugheit und Liſt die Vortheile zu
erlangen, welche Natur und Zuſtaͤnde ihm ver¬
ſagten. Es iſt oft genug bemerkt und ausge¬
ſprochen worden, daß die heiligen Schriften
uns jene Erzvaͤter und andere von Gott be¬
guͤnſtigte Maͤnner keineswegs als Tugendbilder
aufſtellen wollen. Auch ſie ſind Menſchen von
den verſchiedenſten Charactern, mit mancherley
Maͤngeln und Gebrechen; aber eine Haupt¬
eigenſchaft darf ſolchen Maͤnnern nach dem
Herzen Gottes nicht fehlen: es iſt der uner¬
ſchuͤtterliche Glaube, daß Gott ſich ihrer und
der Ihrigen beſonders annehme.
Die allgemeine, die natuͤrliche Religion
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/338>, abgerufen am 10.06.2024.
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