Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

eine angenehme Unterhaltung versprochen
hatte, konnte seinen Verdruß nicht verbergen.
Dagegen lachte Laertes, und rief: so gefällt
sie mir! das sieht ihr ganz ähnlich! Lassen
Sie uns nur gerade nach dem Jagdhause
gehen, sie mag seyn, wo sie will, wir wollen
ihretwegen unsere Promenade nicht ver¬
säumen.

Als Wilhelm unterweges diese Inconse¬
quenz des Betragens zu tadeln fortfuhr, sag¬
te Laertes: ich kann nicht inconsequent fin¬
den, wenn jemand seinem Character treu
bleibt. Wenn sie sich etwas vornimmt oder
jemanden etwas verspricht, so geschieht es
nur unter der stillschweigenden Bedingung,
daß es ihr auch bequem seyn werde, den
Vorsatz auszuführen oder ihr Versprechen zu
halten. Sie verschenkt gern, aber man muß
immer bereit seyn, ihr das Geschenkte wieder
zu geben.

eine angenehme Unterhaltung verſprochen
hatte, konnte ſeinen Verdruß nicht verbergen.
Dagegen lachte Laertes, und rief: ſo gefällt
ſie mir! das ſieht ihr ganz ähnlich! Laſſen
Sie uns nur gerade nach dem Jagdhauſe
gehen, ſie mag ſeyn, wo ſie will, wir wollen
ihretwegen unſere Promenade nicht ver¬
ſäumen.

Als Wilhelm unterweges dieſe Inconſe¬
quenz des Betragens zu tadeln fortfuhr, ſag¬
te Laertes: ich kann nicht inconſequent fin¬
den, wenn jemand ſeinem Character treu
bleibt. Wenn ſie ſich etwas vornimmt oder
jemanden etwas verſpricht, ſo geſchieht es
nur unter der ſtillſchweigenden Bedingung,
daß es ihr auch bequem ſeyn werde, den
Vorſatz auszuführen oder ihr Verſprechen zu
halten. Sie verſchenkt gern, aber man muß
immer bereit ſeyn, ihr das Geſchenkte wieder
zu geben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0255" n="247"/>
eine angenehme Unterhaltung ver&#x017F;prochen<lb/>
hatte, konnte &#x017F;einen Verdruß nicht verbergen.<lb/>
Dagegen lachte Laertes, und rief: &#x017F;o gefällt<lb/>
&#x017F;ie mir! das &#x017F;ieht ihr ganz ähnlich! La&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie uns nur gerade nach dem Jagdhau&#x017F;e<lb/>
gehen, &#x017F;ie mag &#x017F;eyn, wo &#x017F;ie will, wir wollen<lb/>
ihretwegen un&#x017F;ere Promenade nicht ver¬<lb/>
&#x017F;äumen.</p><lb/>
            <p>Als Wilhelm unterweges die&#x017F;e Incon&#x017F;<lb/>
quenz des Betragens zu tadeln fortfuhr, &#x017F;ag¬<lb/>
te Laertes: ich kann nicht incon&#x017F;equent fin¬<lb/>
den, wenn jemand &#x017F;einem Character treu<lb/>
bleibt. Wenn &#x017F;ie &#x017F;ich etwas vornimmt oder<lb/>
jemanden etwas ver&#x017F;pricht, &#x017F;o ge&#x017F;chieht es<lb/>
nur unter der &#x017F;till&#x017F;chweigenden Bedingung,<lb/>
daß es ihr auch bequem &#x017F;eyn werde, den<lb/>
Vor&#x017F;atz auszuführen oder ihr Ver&#x017F;prechen zu<lb/>
halten. Sie ver&#x017F;chenkt gern, aber man muß<lb/>
immer bereit &#x017F;eyn, ihr das Ge&#x017F;chenkte wieder<lb/>
zu geben.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0255] eine angenehme Unterhaltung verſprochen hatte, konnte ſeinen Verdruß nicht verbergen. Dagegen lachte Laertes, und rief: ſo gefällt ſie mir! das ſieht ihr ganz ähnlich! Laſſen Sie uns nur gerade nach dem Jagdhauſe gehen, ſie mag ſeyn, wo ſie will, wir wollen ihretwegen unſere Promenade nicht ver¬ ſäumen. Als Wilhelm unterweges dieſe Inconſe¬ quenz des Betragens zu tadeln fortfuhr, ſag¬ te Laertes: ich kann nicht inconſequent fin¬ den, wenn jemand ſeinem Character treu bleibt. Wenn ſie ſich etwas vornimmt oder jemanden etwas verſpricht, ſo geſchieht es nur unter der ſtillſchweigenden Bedingung, daß es ihr auch bequem ſeyn werde, den Vorſatz auszuführen oder ihr Verſprechen zu halten. Sie verſchenkt gern, aber man muß immer bereit ſeyn, ihr das Geſchenkte wieder zu geben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/255
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/255>, abgerufen am 14.06.2024.