Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

und seine Einbildungskraft sich eben so sehr
diesem Vorschlage näherten, als sein Ver¬
stand und seine Vernunft sich davon entfern¬
ten. Er verbarg seine Neigung vor sich
selbst und vor Philinen, und brachte einen
unruhigen Tag zu, an dem er sich nicht ent¬
schließen konnte, zu seinen Handelscorrespon¬
denten zu gehen, und die Briefe, die dort
für ihn liegen möchten, abzuholen. Denn
ob er sich gleich die Unruhe der Seinigen
diese Zeit über vorstellen konnte, so scheute
er sich doch, ihre Sorgen und Vorwürfe um¬
ständlich zu erfahren, um so mehr, da er sich
einen großen und reinen Genuß diesen Abend
von der Aufführung eines neuen Stücks ver¬
sprach.

Serlo hatte sich geweigert, ihn bey der
Probe zuzulassen. Sie müssen uns, sagte er,
erst von der besten Seite kennen lernen, eh
wir zugeben, daß Sie uns in die Karte sehen.

T 2

und ſeine Einbildungskraft ſich eben ſo ſehr
dieſem Vorſchlage näherten, als ſein Ver¬
ſtand und ſeine Vernunft ſich davon entfern¬
ten. Er verbarg ſeine Neigung vor ſich
ſelbſt und vor Philinen, und brachte einen
unruhigen Tag zu, an dem er ſich nicht ent¬
ſchließen konnte, zu ſeinen Handelscorreſpon¬
denten zu gehen, und die Briefe, die dort
für ihn liegen möchten, abzuholen. Denn
ob er ſich gleich die Unruhe der Seinigen
dieſe Zeit über vorſtellen konnte, ſo ſcheute
er ſich doch, ihre Sorgen und Vorwürfe um¬
ſtändlich zu erfahren, um ſo mehr, da er ſich
einen großen und reinen Genuß dieſen Abend
von der Aufführung eines neuen Stücks ver¬
ſprach.

Serlo hatte ſich geweigert, ihn bey der
Probe zuzulaſſen. Sie müſſen uns, ſagte er,
erſt von der beſten Seite kennen lernen, eh
wir zugeben, daß Sie uns in die Karte ſehen.

T 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0300" n="291"/>
und &#x017F;eine Einbildungskraft &#x017F;ich eben &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
die&#x017F;em Vor&#x017F;chlage näherten, als &#x017F;ein Ver¬<lb/>
&#x017F;tand und &#x017F;eine Vernunft &#x017F;ich davon entfern¬<lb/>
ten. Er verbarg &#x017F;eine Neigung vor &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t und vor Philinen, und brachte einen<lb/>
unruhigen Tag zu, an dem er &#x017F;ich nicht ent¬<lb/>
&#x017F;chließen konnte, zu &#x017F;einen Handelscorre&#x017F;pon¬<lb/>
denten zu gehen, und die Briefe, die dort<lb/>
für ihn liegen möchten, abzuholen. Denn<lb/>
ob er &#x017F;ich gleich die Unruhe der Seinigen<lb/>
die&#x017F;e Zeit über vor&#x017F;tellen konnte, &#x017F;o &#x017F;cheute<lb/>
er &#x017F;ich doch, ihre Sorgen und Vorwürfe um¬<lb/>
&#x017F;tändlich zu erfahren, um &#x017F;o mehr, da er &#x017F;ich<lb/>
einen großen und reinen Genuß die&#x017F;en Abend<lb/>
von der Aufführung eines neuen Stücks ver¬<lb/>
&#x017F;prach.</p><lb/>
            <p>Serlo hatte &#x017F;ich geweigert, ihn bey der<lb/>
Probe zuzula&#x017F;&#x017F;en. Sie mü&#x017F;&#x017F;en uns, &#x017F;agte er,<lb/>
er&#x017F;t von der be&#x017F;ten Seite kennen lernen, eh<lb/>
wir zugeben, daß Sie uns in die Karte &#x017F;ehen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">T 2<lb/></fw>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0300] und ſeine Einbildungskraft ſich eben ſo ſehr dieſem Vorſchlage näherten, als ſein Ver¬ ſtand und ſeine Vernunft ſich davon entfern¬ ten. Er verbarg ſeine Neigung vor ſich ſelbſt und vor Philinen, und brachte einen unruhigen Tag zu, an dem er ſich nicht ent¬ ſchließen konnte, zu ſeinen Handelscorreſpon¬ denten zu gehen, und die Briefe, die dort für ihn liegen möchten, abzuholen. Denn ob er ſich gleich die Unruhe der Seinigen dieſe Zeit über vorſtellen konnte, ſo ſcheute er ſich doch, ihre Sorgen und Vorwürfe um¬ ſtändlich zu erfahren, um ſo mehr, da er ſich einen großen und reinen Genuß dieſen Abend von der Aufführung eines neuen Stücks ver¬ ſprach. Serlo hatte ſich geweigert, ihn bey der Probe zuzulaſſen. Sie müſſen uns, ſagte er, erſt von der beſten Seite kennen lernen, eh wir zugeben, daß Sie uns in die Karte ſehen. T 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/300
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/300>, abgerufen am 29.04.2024.