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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Mit der größten Zufriedenheit wohnte
aber auch unser Freund den Abend darauf
der Vorstellung bey. Es war das erstemal,
daß er ein Theater in solcher Vollkommenheit
sah. Man traute sämmtlichen Schauspielern
fürtrefliche Gaben, glückliche Anlagen und
einen hohen und klaren Begriff von ihrer
Kunst zu, und doch waren sie einander nicht
gleich; aber sie hielten und trugen sich wech¬
selsweise, feuerten einander an, und waren
in ihrem ganzen Spiele sehr bestimmt und
genau. Man fühlte bald, daß Serlo die
Seele des Ganzen war, und er zeichnete sich
sehr zu seinem Vortheil aus. Eine heitere
Laune, eine gemäßigte Lebhaftigkeit, ein be¬
stimmtes Gefühl des Schicklichen bey einer
großen Gabe der Nachahmung, mußte man
an ihm, wie er aufs Theater trat, wie er
den Mund öffnete, bewundern. Die innere
Behaglichkeit seines Daseyns schien sich über

Mit der größten Zufriedenheit wohnte
aber auch unſer Freund den Abend darauf
der Vorſtellung bey. Es war das erſtemal,
daß er ein Theater in ſolcher Vollkommenheit
ſah. Man traute ſämmtlichen Schauſpielern
fürtrefliche Gaben, glückliche Anlagen und
einen hohen und klaren Begriff von ihrer
Kunſt zu, und doch waren ſie einander nicht
gleich; aber ſie hielten und trugen ſich wech¬
ſelsweiſe, feuerten einander an, und waren
in ihrem ganzen Spiele ſehr beſtimmt und
genau. Man fühlte bald, daß Serlo die
Seele des Ganzen war, und er zeichnete ſich
ſehr zu ſeinem Vortheil aus. Eine heitere
Laune, eine gemäßigte Lebhaftigkeit, ein be¬
ſtimmtes Gefühl des Schicklichen bey einer
großen Gabe der Nachahmung, mußte man
an ihm, wie er aufs Theater trat, wie er
den Mund öffnete, bewundern. Die innere
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[292/0301] Mit der größten Zufriedenheit wohnte aber auch unſer Freund den Abend darauf der Vorſtellung bey. Es war das erſtemal, daß er ein Theater in ſolcher Vollkommenheit ſah. Man traute ſämmtlichen Schauſpielern fürtrefliche Gaben, glückliche Anlagen und einen hohen und klaren Begriff von ihrer Kunſt zu, und doch waren ſie einander nicht gleich; aber ſie hielten und trugen ſich wech¬ ſelsweiſe, feuerten einander an, und waren in ihrem ganzen Spiele ſehr beſtimmt und genau. Man fühlte bald, daß Serlo die Seele des Ganzen war, und er zeichnete ſich ſehr zu ſeinem Vortheil aus. Eine heitere Laune, eine gemäßigte Lebhaftigkeit, ein be¬ ſtimmtes Gefühl des Schicklichen bey einer großen Gabe der Nachahmung, mußte man an ihm, wie er aufs Theater trat, wie er den Mund öffnete, bewundern. Die innere Behaglichkeit ſeines Daſeyns ſchien ſich über

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/301>, abgerufen am 15.05.2024.