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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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gehalten. Ich konnte mich keinem Menschen
vertrauen und von Gott war ich zu weit
entfernt. Ich hatte diesen während vier wil¬
der Jahre ganz vergessen, nun dachte ich
dann und wann wieder an ihn, aber die
Bekanntschaft war erkaltet; es waren nur
Cerimonienvisiten, die ich ihm machte, und
da ich überdies, wenn ich vor ihm erschien,
immer schöne Kleider anlegte, meine Tugend,
Ehrbarkeit und Vorzüge, die ich vor andern
zu haben glaubte, ihm mit Zufriedenheit
vorwies; so schien er mich in dem Schmucke
gar nicht zu bemerken.

Ein Höfling würde, wenn sein Fürst, von
dem er sein Glück erwartet, sich so gegen ihn
betrüge, sehr beunruhigt werden; mir aber
war nicht übel dabey zu Muthe, ich hatte
was ich brauchte, Gesundheit und Bequem¬
lichkeit, wollte sich Gott mein Andenken ge¬
fallen lassen, so war es gut, wo nicht, so

W. Meisters Lehrj. 3. Q

gehalten. Ich konnte mich keinem Menſchen
vertrauen und von Gott war ich zu weit
entfernt. Ich hatte dieſen während vier wil¬
der Jahre ganz vergeſſen, nun dachte ich
dann und wann wieder an ihn, aber die
Bekanntſchaft war erkaltet; es waren nur
Cerimonienviſiten, die ich ihm machte, und
da ich überdies, wenn ich vor ihm erſchien,
immer ſchöne Kleider anlegte, meine Tugend,
Ehrbarkeit und Vorzüge, die ich vor andern
zu haben glaubte, ihm mit Zufriedenheit
vorwies; ſo ſchien er mich in dem Schmucke
gar nicht zu bemerken.

Ein Höfling würde, wenn ſein Fürſt, von
dem er ſein Glück erwartet, ſich ſo gegen ihn
betrüge, ſehr beunruhigt werden; mir aber
war nicht übel dabey zu Muthe, ich hatte
was ich brauchte, Geſundheit und Bequem¬
lichkeit, wollte ſich Gott mein Andenken ge¬
fallen laſſen, ſo war es gut, wo nicht, ſo

W. Meiſters Lehrj. 3. Q
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[241/0247] gehalten. Ich konnte mich keinem Menſchen vertrauen und von Gott war ich zu weit entfernt. Ich hatte dieſen während vier wil¬ der Jahre ganz vergeſſen, nun dachte ich dann und wann wieder an ihn, aber die Bekanntſchaft war erkaltet; es waren nur Cerimonienviſiten, die ich ihm machte, und da ich überdies, wenn ich vor ihm erſchien, immer ſchöne Kleider anlegte, meine Tugend, Ehrbarkeit und Vorzüge, die ich vor andern zu haben glaubte, ihm mit Zufriedenheit vorwies; ſo ſchien er mich in dem Schmucke gar nicht zu bemerken. Ein Höfling würde, wenn ſein Fürſt, von dem er ſein Glück erwartet, ſich ſo gegen ihn betrüge, ſehr beunruhigt werden; mir aber war nicht übel dabey zu Muthe, ich hatte was ich brauchte, Geſundheit und Bequem¬ lichkeit, wollte ſich Gott mein Andenken ge¬ fallen laſſen, ſo war es gut, wo nicht, ſo W. Meiſters Lehrj. 3. Q

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/247>, abgerufen am 26.04.2024.