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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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daß alles von der Beschaffenheit meiner
Seele abhing; wenn die nicht ganz in der
geradesten Richtung zu Gott gekehrt war,
so blieb ich kalt; ich fühlte seine Rückwir¬
kung nicht, und konnte seine Antwort nicht
vernehmen. Nun war die zweyte Frage:
was verhindert diese Richtung? Hier war
ich in einem weiten Felde, und verwickelte
mich in eine Untersuchung, die beynah das
ganze zweyte Jahr meiner Liebesgeschichte
fortdauerte. Ich hätte sie früher endigen
können, denn ich kam bald auf die Spur,
aber ich wollte es nicht gestehen, und suchte
tausend Ausflüchte.

Ich fand sehr bald, daß die gerade Rich¬
tung meiner Seele durch thörichte Zerstreuung
und Beschäftigung mit unwürdigen Sachen
gestöhrt werde; das Wie und Wo war mir
bald klar genug. Nun aber wie heraus¬
kommen? in einer Welt wo alles gleichgül¬

W. Meisters Lehrj. 3. R

daß alles von der Beſchaffenheit meiner
Seele abhing; wenn die nicht ganz in der
geradeſten Richtung zu Gott gekehrt war,
ſo blieb ich kalt; ich fühlte ſeine Rückwir¬
kung nicht, und konnte ſeine Antwort nicht
vernehmen. Nun war die zweyte Frage:
was verhindert dieſe Richtung? Hier war
ich in einem weiten Felde, und verwickelte
mich in eine Unterſuchung, die beynah das
ganze zweyte Jahr meiner Liebesgeſchichte
fortdauerte. Ich hätte ſie früher endigen
können, denn ich kam bald auf die Spur,
aber ich wollte es nicht geſtehen, und ſuchte
tauſend Ausflüchte.

Ich fand ſehr bald, daß die gerade Rich¬
tung meiner Seele durch thörichte Zerſtreuung
und Beſchäftigung mit unwürdigen Sachen
geſtöhrt werde; das Wie und Wo war mir
bald klar genug. Nun aber wie heraus¬
kommen? in einer Welt wo alles gleichgül¬

W. Meiſters Lehrj. 3. R
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[257/0263] daß alles von der Beſchaffenheit meiner Seele abhing; wenn die nicht ganz in der geradeſten Richtung zu Gott gekehrt war, ſo blieb ich kalt; ich fühlte ſeine Rückwir¬ kung nicht, und konnte ſeine Antwort nicht vernehmen. Nun war die zweyte Frage: was verhindert dieſe Richtung? Hier war ich in einem weiten Felde, und verwickelte mich in eine Unterſuchung, die beynah das ganze zweyte Jahr meiner Liebesgeſchichte fortdauerte. Ich hätte ſie früher endigen können, denn ich kam bald auf die Spur, aber ich wollte es nicht geſtehen, und ſuchte tauſend Ausflüchte. Ich fand ſehr bald, daß die gerade Rich¬ tung meiner Seele durch thörichte Zerſtreuung und Beſchäftigung mit unwürdigen Sachen geſtöhrt werde; das Wie und Wo war mir bald klar genug. Nun aber wie heraus¬ kommen? in einer Welt wo alles gleichgül¬ W. Meiſters Lehrj. 3. R

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/263>, abgerufen am 03.05.2024.