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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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tig oder toll ist. Gern hätte ich die Sache
an ihren Ort gestellt seyn lassen, und hätte
auf geradewohl hingelebt wie andere Leute
auch, die ich ganz wohlauf sah; allein ich
durfte nicht, mein Innres widersprach mir
zu oft. Wollte ich mich der Gesellschaft ent¬
ziehen und meine Verhältnisse verändern, so
konnte ich nicht. Ich war nun einmal in
einen Kreis hinein gesperrt; gewisse Verbin¬
dungen konnte ich nicht los werden, und in
der mir so angelegenen Sache drängten und
häuften sich die Fatalitäten. Ich legte mich
oft mit Thränen zu Bette, und stand nach
einer schlaflosen Nacht auch wieder so auf;
ich bedurfte einer kräftigen Unterstützung,
und die verlieh mir Gott nicht, wenn ich
mit der Schellenkappe herum lief.

Nun ging es an ein Abwiegen aller und
jeder Handlungen; Tanzen und Spielen
wurden am ersten in Untersuchung genom¬

tig oder toll iſt. Gern hätte ich die Sache
an ihren Ort geſtellt ſeyn laſſen, und hätte
auf geradewohl hingelebt wie andere Leute
auch, die ich ganz wohlauf ſah; allein ich
durfte nicht, mein Innres widerſprach mir
zu oft. Wollte ich mich der Geſellſchaft ent¬
ziehen und meine Verhältniſſe verändern, ſo
konnte ich nicht. Ich war nun einmal in
einen Kreis hinein geſperrt; gewiſſe Verbin¬
dungen konnte ich nicht los werden, und in
der mir ſo angelegenen Sache drängten und
häuften ſich die Fatalitäten. Ich legte mich
oft mit Thränen zu Bette, und ſtand nach
einer ſchlafloſen Nacht auch wieder ſo auf;
ich bedurfte einer kräftigen Unterſtützung,
und die verlieh mir Gott nicht, wenn ich
mit der Schellenkappe herum lief.

Nun ging es an ein Abwiegen aller und
jeder Handlungen; Tanzen und Spielen
wurden am erſten in Unterſuchung genom¬

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[258/0264] tig oder toll iſt. Gern hätte ich die Sache an ihren Ort geſtellt ſeyn laſſen, und hätte auf geradewohl hingelebt wie andere Leute auch, die ich ganz wohlauf ſah; allein ich durfte nicht, mein Innres widerſprach mir zu oft. Wollte ich mich der Geſellſchaft ent¬ ziehen und meine Verhältniſſe verändern, ſo konnte ich nicht. Ich war nun einmal in einen Kreis hinein geſperrt; gewiſſe Verbin¬ dungen konnte ich nicht los werden, und in der mir ſo angelegenen Sache drängten und häuften ſich die Fatalitäten. Ich legte mich oft mit Thränen zu Bette, und ſtand nach einer ſchlafloſen Nacht auch wieder ſo auf; ich bedurfte einer kräftigen Unterſtützung, und die verlieh mir Gott nicht, wenn ich mit der Schellenkappe herum lief. Nun ging es an ein Abwiegen aller und jeder Handlungen; Tanzen und Spielen wurden am erſten in Unterſuchung genom¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/264>, abgerufen am 03.05.2024.