Frauen. So kommt die Mitternacht herbey, die Todtenstille wird immer tiefer. Charlotte verbirgt sich's nicht mehr, daß das Kind nie wieder ins Leben zurückkehre; sie verlangt es zu sehen. Man hat es in warme wollne Tü¬ cher reinlich eingehüllt, in einen Korb gelegt, den man neben sie auf den Sopha setzt; nur das Gesichtchen ist frey; ruhig und schön liegt es da.
Von dem Unfall war das Dorf bald er¬ regt worden und die Kunde sogleich bis nach dem Gasthof erschollen. Der Major hatte sich die bekannten Wege hinaufbegeben; er ging um das Haus herum, und indem er einen Bedienten anhielt, der in dem Ange¬ bäude etwas zu hohlen lief, verschaffte er sich nähere Nachricht und ließ den Chirurgen her¬ ausrufen. Dieser kam, erstaunt über die Er¬ scheinung seines alten Gönners, berichtete ihm die gegenwärtige Lage und übernahm es, Char¬ lotten auf seinen Anblick vorzubereiten. Er
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Frauen. So kommt die Mitternacht herbey, die Todtenſtille wird immer tiefer. Charlotte verbirgt ſich's nicht mehr, daß das Kind nie wieder ins Leben zuruͤckkehre; ſie verlangt es zu ſehen. Man hat es in warme wollne Tuͤ¬ cher reinlich eingehuͤllt, in einen Korb gelegt, den man neben ſie auf den Sopha ſetzt; nur das Geſichtchen iſt frey; ruhig und ſchoͤn liegt es da.
Von dem Unfall war das Dorf bald er¬ regt worden und die Kunde ſogleich bis nach dem Gaſthof erſchollen. Der Major hatte ſich die bekannten Wege hinaufbegeben; er ging um das Haus herum, und indem er einen Bedienten anhielt, der in dem Ange¬ baͤude etwas zu hohlen lief, verſchaffte er ſich naͤhere Nachricht und ließ den Chirurgen her¬ ausrufen. Dieſer kam, erſtaunt uͤber die Er¬ ſcheinung ſeines alten Goͤnners, berichtete ihm die gegenwaͤrtige Lage und uͤbernahm es, Char¬ lotten auf ſeinen Anblick vorzubereiten. Er
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Frauen. So kommt die Mitternacht herbey,
die Todtenſtille wird immer tiefer. Charlotte
verbirgt ſich's nicht mehr, daß das Kind nie
wieder ins Leben zuruͤckkehre; ſie verlangt es
zu ſehen. Man hat es in warme wollne Tuͤ¬
cher reinlich eingehuͤllt, in einen Korb gelegt,
den man neben ſie auf den Sopha ſetzt; nur
das Geſichtchen iſt frey; ruhig und ſchoͤn liegt
es da.
Von dem Unfall war das Dorf bald er¬
regt worden und die Kunde ſogleich bis nach
dem Gaſthof erſchollen. Der Major hatte
ſich die bekannten Wege hinaufbegeben; er
ging um das Haus herum, und indem er
einen Bedienten anhielt, der in dem Ange¬
baͤude etwas zu hohlen lief, verſchaffte er ſich
naͤhere Nachricht und ließ den Chirurgen her¬
ausrufen. Dieſer kam, erſtaunt uͤber die Er¬
ſcheinung ſeines alten Goͤnners, berichtete ihm
die gegenwaͤrtige Lage und uͤbernahm es, Char¬
lotten auf ſeinen Anblick vorzubereiten. Er
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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Wahlverwandtschaften. Bd. 2. Tübingen, 1809, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_wahlverw02_1809/262>, abgerufen am 29.04.2024.
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