Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



gefühlt -- ich will nicht betheuren -- und nun --
Träume! O wie wahr fühlten die Menschen, die
so widersprechende Würkungen fremden Mächten
zuschrieben. Diese Nacht! Jch zittere es zu sa-
gen, hielt ich sie in meinen Armen, fest an mei-
nen Busen gedrükt und dekte ihren lieben lispeln-
den Mund mit unendlichen Küssen. Mein Auge
schwamm in der Trunkenheit des ihrigen. Gott!
bin ich strafbar, daß ich auch jezt noch eine Selig-
keit fühle, mir diese glühende Freuden mit voller
Jnnigkeit zurük zu rufen, Lotte! Lotte! -- Und
mit mir ist's aus! Meine Sinnen verwirren sich.
Schon acht Tage hab ich keine Besinnungskraft,
meine Augen sind voll Thränen. Jch bin nir-
gends wohl, und überall wohl. Jch wünsche nichts,
verlange nichts. Mir wärs besser ich gienge.

Der



gefuͤhlt — ich will nicht betheuren — und nun —
Traͤume! O wie wahr fuͤhlten die Menſchen, die
ſo widerſprechende Wuͤrkungen fremden Maͤchten
zuſchrieben. Dieſe Nacht! Jch zittere es zu ſa-
gen, hielt ich ſie in meinen Armen, feſt an mei-
nen Buſen gedruͤkt und dekte ihren lieben lispeln-
den Mund mit unendlichen Kuͤſſen. Mein Auge
ſchwamm in der Trunkenheit des ihrigen. Gott!
bin ich ſtrafbar, daß ich auch jezt noch eine Selig-
keit fuͤhle, mir dieſe gluͤhende Freuden mit voller
Jnnigkeit zuruͤk zu rufen, Lotte! Lotte! — Und
mit mir iſt’s aus! Meine Sinnen verwirren ſich.
Schon acht Tage hab ich keine Beſinnungskraft,
meine Augen ſind voll Thraͤnen. Jch bin nir-
gends wohl, und uͤberall wohl. Jch wuͤnſche nichts,
verlange nichts. Mir waͤrs beſſer ich gienge.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="diaryEntry">
        <div type="diaryEntry">
          <p><pb facs="#f0063" n="175"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gefu&#x0364;hlt &#x2014; ich will nicht betheuren &#x2014; und nun &#x2014;<lb/>
Tra&#x0364;ume! O wie wahr fu&#x0364;hlten die Men&#x017F;chen, die<lb/>
&#x017F;o wider&#x017F;prechende Wu&#x0364;rkungen fremden Ma&#x0364;chten<lb/>
zu&#x017F;chrieben. Die&#x017F;e Nacht! Jch zittere es zu &#x017F;a-<lb/>
gen, hielt ich &#x017F;ie in meinen Armen, fe&#x017F;t an mei-<lb/>
nen Bu&#x017F;en gedru&#x0364;kt und dekte ihren lieben lispeln-<lb/>
den Mund mit unendlichen Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Mein Auge<lb/>
&#x017F;chwamm in der Trunkenheit des ihrigen. Gott!<lb/>
bin ich &#x017F;trafbar, daß ich auch jezt noch eine Selig-<lb/>
keit fu&#x0364;hle, mir die&#x017F;e glu&#x0364;hende Freuden mit voller<lb/>
Jnnigkeit zuru&#x0364;k zu rufen, Lotte! Lotte! &#x2014; Und<lb/>
mit mir i&#x017F;t&#x2019;s aus! Meine Sinnen verwirren &#x017F;ich.<lb/>
Schon acht Tage hab ich keine Be&#x017F;innungskraft,<lb/>
meine Augen &#x017F;ind voll Thra&#x0364;nen. Jch bin nir-<lb/>
gends wohl, und u&#x0364;berall wohl. Jch wu&#x0364;n&#x017F;che nichts,<lb/>
verlange nichts. Mir wa&#x0364;rs be&#x017F;&#x017F;er ich gienge.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0063] gefuͤhlt — ich will nicht betheuren — und nun — Traͤume! O wie wahr fuͤhlten die Menſchen, die ſo widerſprechende Wuͤrkungen fremden Maͤchten zuſchrieben. Dieſe Nacht! Jch zittere es zu ſa- gen, hielt ich ſie in meinen Armen, feſt an mei- nen Buſen gedruͤkt und dekte ihren lieben lispeln- den Mund mit unendlichen Kuͤſſen. Mein Auge ſchwamm in der Trunkenheit des ihrigen. Gott! bin ich ſtrafbar, daß ich auch jezt noch eine Selig- keit fuͤhle, mir dieſe gluͤhende Freuden mit voller Jnnigkeit zuruͤk zu rufen, Lotte! Lotte! — Und mit mir iſt’s aus! Meine Sinnen verwirren ſich. Schon acht Tage hab ich keine Beſinnungskraft, meine Augen ſind voll Thraͤnen. Jch bin nir- gends wohl, und uͤberall wohl. Jch wuͤnſche nichts, verlange nichts. Mir waͤrs beſſer ich gienge. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/63
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/63>, abgerufen am 29.04.2024.