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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Händedruk, und doch wenn ich wieder weg war,
wenn ich Alberten an deiner Seite sah, verzagt'
ich wieder in fieberhaften Zweiseln.

Erinnerst du dich der Blumen die du mir schik-
test, als du in jener fatalen Gesellschaft mir kein
Wort sagen, keine Hand reichen konntest, o ich
habe die halbe Nacht davor gekniet, und sie ver-
siegelten mir deine Liebe. Aber ach! diese Ein-
drükke gingen vorüber, wie das Gefühl der Gna-
de seines Gottes allmählig wieder aus der See-
le des Gläubigen weicht, die ihm mit ganzer
Himmelsfülle im heiligen sichtbaren Zeichen ge-
reicht ward.

Alles das ist vergänglich, keine Ewigkeit soll
das glühende Leben auslöschen, das ich gestern auf
deinen Lippen genoß, das ich in mir fühle. Sie
liebt mich! Dieser Arm hat sie umfast, diese Lip-
pen auf ihren Lippen gezittert, dieser Mund am
ihrigen gestammelt. Sie ist mein! du bist mein!
ja Lotte auf ewig!

Und was ist das? daß Albert dein Mann ist!
Mann? -- das wäre denn für diese Welt -- und für
diese Welt Sünde, daß ich dich liebe, daß ich dich aus sei,
nen Armen in die meinigen reissen möchte? Sünde?

Gut
O 2



Haͤndedruk, und doch wenn ich wieder weg war,
wenn ich Alberten an deiner Seite ſah, verzagt’
ich wieder in fieberhaften Zweiſeln.

Erinnerſt du dich der Blumen die du mir ſchik-
teſt, als du in jener fatalen Geſellſchaft mir kein
Wort ſagen, keine Hand reichen konnteſt, o ich
habe die halbe Nacht davor gekniet, und ſie ver-
ſiegelten mir deine Liebe. Aber ach! dieſe Ein-
druͤkke gingen voruͤber, wie das Gefuͤhl der Gna-
de ſeines Gottes allmaͤhlig wieder aus der See-
le des Glaͤubigen weicht, die ihm mit ganzer
Himmelsfuͤlle im heiligen ſichtbaren Zeichen ge-
reicht ward.

Alles das iſt vergaͤnglich, keine Ewigkeit ſoll
das gluͤhende Leben ausloͤſchen, das ich geſtern auf
deinen Lippen genoß, das ich in mir fuͤhle. Sie
liebt mich! Dieſer Arm hat ſie umfaſt, dieſe Lip-
pen auf ihren Lippen gezittert, dieſer Mund am
ihrigen geſtammelt. Sie iſt mein! du biſt mein!
ja Lotte auf ewig!

Und was iſt das? daß Albert dein Mann iſt!
Mann? — das waͤre denn fuͤr dieſe Welt — und fuͤr
dieſe Welt Suͤnde, daß ich dich liebe, daß ich dich aus ſei,
nen Armen in die meinigen reiſſen moͤchte? Suͤnde?

Gut
O 2
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[211/0099] Haͤndedruk, und doch wenn ich wieder weg war, wenn ich Alberten an deiner Seite ſah, verzagt’ ich wieder in fieberhaften Zweiſeln. Erinnerſt du dich der Blumen die du mir ſchik- teſt, als du in jener fatalen Geſellſchaft mir kein Wort ſagen, keine Hand reichen konnteſt, o ich habe die halbe Nacht davor gekniet, und ſie ver- ſiegelten mir deine Liebe. Aber ach! dieſe Ein- druͤkke gingen voruͤber, wie das Gefuͤhl der Gna- de ſeines Gottes allmaͤhlig wieder aus der See- le des Glaͤubigen weicht, die ihm mit ganzer Himmelsfuͤlle im heiligen ſichtbaren Zeichen ge- reicht ward. Alles das iſt vergaͤnglich, keine Ewigkeit ſoll das gluͤhende Leben ausloͤſchen, das ich geſtern auf deinen Lippen genoß, das ich in mir fuͤhle. Sie liebt mich! Dieſer Arm hat ſie umfaſt, dieſe Lip- pen auf ihren Lippen gezittert, dieſer Mund am ihrigen geſtammelt. Sie iſt mein! du biſt mein! ja Lotte auf ewig! Und was iſt das? daß Albert dein Mann iſt! Mann? — das waͤre denn fuͤr dieſe Welt — und fuͤr dieſe Welt Suͤnde, daß ich dich liebe, daß ich dich aus ſei, nen Armen in die meinigen reiſſen moͤchte? Suͤnde? Gut O 2

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/99>, abgerufen am 08.05.2024.