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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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Heimweg pressirten sie zu stark, damit ja nichts ver¬
säumt werde, erhitzten sich, und gar Manche sei übel
krank geworden und gar gestorben. Da nahm die Gotte
das Kind im Deckbette auf die Arme, die Hebamme
legte das schöne weiße Tauftuch mit den schwarzen
Quasten in den Ecken über das Kind, sorgfältig den
schönen Blumenstrauß an der Gotte Brust schonend, und
sagte: "So geht jetzt in Gottes, heiligen Namen." Und
die Großmutter legte die Hände in einander und betete
still einen inbrünstigen Segen. Die Mutter aber ging
mit dem Zuge hinaus bis unter die Thüre und sagte:
"Mein Bübli, mein Bübli, jetzt sehe ich dich drei ganze
Stunden nicht, wie halte ich das aus!" Und alsobald
schoß es ihr in die Augen, rasch fuhr sie mit dem Für¬
tuch darüber und ging ins Haus.

Rasch schritt die Gotte die Halde ab den Kirchweg
entlang, auf ihren starken Armen das muntere Kind,
hintendrein die zwei Götteni, Vater und Großvater,
deren keinem in Sinn kam, die Gotte ihrer Last zu ent¬
ledigen, obgleich der jüngere Götti in einem stattlichen
Maien auf dem Hute das Zeichen der Ledigkeit trug,
und in seinem Auge etwas leuchtete wie großes Wohl¬
gefallen an der Gotte, freilich alles hinter der Blende
großer Gelassenheit verborgen.

Der Großvater berichtete, welch schrecklich Wetter es
gewesen sei, als man ihn zur Kirche getragen, vor
Hagel und Blitz hätten die Kirchgänger kaum geglaubt
mit dem Leben davon zu kommen. Hintenher hätten
die Leute ihm allerlei geweissaget, dieses Wetters wegen;
die Einen einen schrecklichen Tod, die Anderen großes
Glück im Kriege; nun sei es ihm gegangen in aller
Stille wie den Andern auch, und im fünf und sieben¬
zigsten Jahre werde er weder frühe sterben noch großes

Heimweg preſſirten ſie zu ſtark, damit ja nichts ver¬
ſäumt werde, erhitzten ſich, und gar Manche ſei übel
krank geworden und gar geſtorben. Da nahm die Gotte
das Kind im Deckbette auf die Arme, die Hebamme
legte das ſchöne weiße Tauftuch mit den ſchwarzen
Quaſten in den Ecken über das Kind, ſorgfältig den
ſchönen Blumenſtrauß an der Gotte Bruſt ſchonend, und
ſagte: „So geht jetzt in Gottes, heiligen Namen.“ Und
die Großmutter legte die Hände in einander und betete
ſtill einen inbrünſtigen Segen. Die Mutter aber ging
mit dem Zuge hinaus bis unter die Thüre und ſagte:
„Mein Bübli, mein Bübli, jetzt ſehe ich dich drei ganze
Stunden nicht, wie halte ich das aus!“ Und alſobald
ſchoß es ihr in die Augen, raſch fuhr ſie mit dem Für¬
tuch darüber und ging ins Haus.

Raſch ſchritt die Gotte die Halde ab den Kirchweg
entlang, auf ihren ſtarken Armen das muntere Kind,
hintendrein die zwei Götteni, Vater und Großvater,
deren keinem in Sinn kam, die Gotte ihrer Laſt zu ent¬
ledigen, obgleich der jüngere Götti in einem ſtattlichen
Maien auf dem Hute das Zeichen der Ledigkeit trug,
und in ſeinem Auge etwas leuchtete wie großes Wohl¬
gefallen an der Gotte, freilich alles hinter der Blende
großer Gelaſſenheit verborgen.

Der Großvater berichtete, welch ſchrecklich Wetter es
geweſen ſei, als man ihn zur Kirche getragen, vor
Hagel und Blitz hätten die Kirchgänger kaum geglaubt
mit dem Leben davon zu kommen. Hintenher hätten
die Leute ihm allerlei geweiſſaget, dieſes Wetters wegen;
die Einen einen ſchrecklichen Tod, die Anderen großes
Glück im Kriege; nun ſei es ihm gegangen in aller
Stille wie den Andern auch, und im fünf und ſieben¬
zigſten Jahre werde er weder frühe ſterben noch großes

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[13/0023] Heimweg preſſirten ſie zu ſtark, damit ja nichts ver¬ ſäumt werde, erhitzten ſich, und gar Manche ſei übel krank geworden und gar geſtorben. Da nahm die Gotte das Kind im Deckbette auf die Arme, die Hebamme legte das ſchöne weiße Tauftuch mit den ſchwarzen Quaſten in den Ecken über das Kind, ſorgfältig den ſchönen Blumenſtrauß an der Gotte Bruſt ſchonend, und ſagte: „So geht jetzt in Gottes, heiligen Namen.“ Und die Großmutter legte die Hände in einander und betete ſtill einen inbrünſtigen Segen. Die Mutter aber ging mit dem Zuge hinaus bis unter die Thüre und ſagte: „Mein Bübli, mein Bübli, jetzt ſehe ich dich drei ganze Stunden nicht, wie halte ich das aus!“ Und alſobald ſchoß es ihr in die Augen, raſch fuhr ſie mit dem Für¬ tuch darüber und ging ins Haus. Raſch ſchritt die Gotte die Halde ab den Kirchweg entlang, auf ihren ſtarken Armen das muntere Kind, hintendrein die zwei Götteni, Vater und Großvater, deren keinem in Sinn kam, die Gotte ihrer Laſt zu ent¬ ledigen, obgleich der jüngere Götti in einem ſtattlichen Maien auf dem Hute das Zeichen der Ledigkeit trug, und in ſeinem Auge etwas leuchtete wie großes Wohl¬ gefallen an der Gotte, freilich alles hinter der Blende großer Gelaſſenheit verborgen. Der Großvater berichtete, welch ſchrecklich Wetter es geweſen ſei, als man ihn zur Kirche getragen, vor Hagel und Blitz hätten die Kirchgänger kaum geglaubt mit dem Leben davon zu kommen. Hintenher hätten die Leute ihm allerlei geweiſſaget, dieſes Wetters wegen; die Einen einen ſchrecklichen Tod, die Anderen großes Glück im Kriege; nun ſei es ihm gegangen in aller Stille wie den Andern auch, und im fünf und ſieben¬ zigſten Jahre werde er weder frühe ſterben noch großes

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/23>, abgerufen am 27.04.2024.