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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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rief er den Fliehenden mit scharf tönender Stimme nach,
daß die Worte in ihren Ohren hängen blieben, wie
Pfeile mit Widerhaken hängen bleiben im Fleische.

"Blaß und zitternd an der Seele und an allen Gliedern
stäubten die Männer nach Hause; keiner sah nach dem
andern sich um, keiner hätte den Hals gedreht, nicht
um alle Güter der Welt. Als so verstört die Männer
daher gestoben kamen, wie Tauben vom Vogel gejagt
zum Taubenschlag, da drang mit ihnen der Schrecken
in alle Häuser, und alle bebten vor der Kunde, welche
den Männern die Glieder also durcheinander warf.

"In zitternder Neugierde schlichen die Weiber den
Männern nach, bis sie dieselben an den Orten hatten,
wo man im Stillen ein vertraut Wort reden konnte.
Da mußte jeder Mann seinem Weibe erzählen, was sie
im Schloß vernommen, das hörten sie mit Wuth und
Fluch; sie mußten erzählen, wer ihnen begegnet, was
er ihnen angetragen. Da ergriff namenlose Angst die
Weiber, ein Wehgeschrei ertönte über Berg und Thal,
einer Jeden ward, als hätte ihr eigen Kind der Ruch¬
lose begehrt. Ein einziges Weib schrie nicht den An¬
dern gleich. Das war ein grausam handlich Weib, eine
Lindauerin soll es gewesen sein, und hier auf dem
Hofe hat es gewohnt. Sie hatte wilde schwarze Augen
und fürchtete sich nicht viel vor Gott und Menschen.
Böse war sie schon geworden, daß die Männer dem
Ritter nicht rundweg das Begehren abgeschlagen; wenn
sie dabei gewesen, sie hätte ihm es sagen wollen, sagte
sie. Als sie vom Grünen hörte und seinem Antrage und
wie die Männer davon gestoben, da ward sie erst recht
böse, und schalt die Männer über ihre Feigheit, und
daß sie dem Grünen nicht kecker ins Gesicht gesehen,
vielleicht hätte er mit einem andern Lohne sich auch be¬

rief er den Fliehenden mit ſcharf tönender Stimme nach,
daß die Worte in ihren Ohren hängen blieben, wie
Pfeile mit Widerhaken hängen bleiben im Fleiſche.

„Blaß und zitternd an der Seele und an allen Gliedern
ſtäubten die Männer nach Hauſe; keiner ſah nach dem
andern ſich um, keiner hätte den Hals gedreht, nicht
um alle Güter der Welt. Als ſo verſtört die Männer
daher geſtoben kamen, wie Tauben vom Vogel gejagt
zum Taubenſchlag, da drang mit ihnen der Schrecken
in alle Häuſer, und alle bebten vor der Kunde, welche
den Männern die Glieder alſo durcheinander warf.

„In zitternder Neugierde ſchlichen die Weiber den
Männern nach, bis ſie dieſelben an den Orten hatten,
wo man im Stillen ein vertraut Wort reden konnte.
Da mußte jeder Mann ſeinem Weibe erzählen, was ſie
im Schloß vernommen, das hörten ſie mit Wuth und
Fluch; ſie mußten erzählen, wer ihnen begegnet, was
er ihnen angetragen. Da ergriff namenloſe Angſt die
Weiber, ein Wehgeſchrei ertönte über Berg und Thal,
einer Jeden ward, als hätte ihr eigen Kind der Ruch¬
loſe begehrt. Ein einziges Weib ſchrie nicht den An¬
dern gleich. Das war ein grauſam handlich Weib, eine
Lindauerin ſoll es geweſen ſein, und hier auf dem
Hofe hat es gewohnt. Sie hatte wilde ſchwarze Augen
und fürchtete ſich nicht viel vor Gott und Menſchen.
Böſe war ſie ſchon geworden, daß die Männer dem
Ritter nicht rundweg das Begehren abgeſchlagen; wenn
ſie dabei geweſen, ſie hätte ihm es ſagen wollen, ſagte
ſie. Als ſie vom Grünen hörte und ſeinem Antrage und
wie die Männer davon geſtoben, da ward ſie erſt recht
böſe, und ſchalt die Männer über ihre Feigheit, und
daß ſie dem Grünen nicht kecker ins Geſicht geſehen,
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[34/0044] rief er den Fliehenden mit ſcharf tönender Stimme nach, daß die Worte in ihren Ohren hängen blieben, wie Pfeile mit Widerhaken hängen bleiben im Fleiſche. „Blaß und zitternd an der Seele und an allen Gliedern ſtäubten die Männer nach Hauſe; keiner ſah nach dem andern ſich um, keiner hätte den Hals gedreht, nicht um alle Güter der Welt. Als ſo verſtört die Männer daher geſtoben kamen, wie Tauben vom Vogel gejagt zum Taubenſchlag, da drang mit ihnen der Schrecken in alle Häuſer, und alle bebten vor der Kunde, welche den Männern die Glieder alſo durcheinander warf. „In zitternder Neugierde ſchlichen die Weiber den Männern nach, bis ſie dieſelben an den Orten hatten, wo man im Stillen ein vertraut Wort reden konnte. Da mußte jeder Mann ſeinem Weibe erzählen, was ſie im Schloß vernommen, das hörten ſie mit Wuth und Fluch; ſie mußten erzählen, wer ihnen begegnet, was er ihnen angetragen. Da ergriff namenloſe Angſt die Weiber, ein Wehgeſchrei ertönte über Berg und Thal, einer Jeden ward, als hätte ihr eigen Kind der Ruch¬ loſe begehrt. Ein einziges Weib ſchrie nicht den An¬ dern gleich. Das war ein grauſam handlich Weib, eine Lindauerin ſoll es geweſen ſein, und hier auf dem Hofe hat es gewohnt. Sie hatte wilde ſchwarze Augen und fürchtete ſich nicht viel vor Gott und Menſchen. Böſe war ſie ſchon geworden, daß die Männer dem Ritter nicht rundweg das Begehren abgeſchlagen; wenn ſie dabei geweſen, ſie hätte ihm es ſagen wollen, ſagte ſie. Als ſie vom Grünen hörte und ſeinem Antrage und wie die Männer davon geſtoben, da ward ſie erſt recht böſe, und ſchalt die Männer über ihre Feigheit, und daß ſie dem Grünen nicht kecker ins Geſicht geſehen, vielleicht hätte er mit einem andern Lohne ſich auch be¬

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/44>, abgerufen am 28.04.2024.