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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Sie reiten in gedrängtem Troß, wo sich vermengen Sand und Luft. pgo_228.002
Sieh da, verschlungen hat sie schon der Ferne schwefelfarb'ner Duft.
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Freiligrath.

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3. Das daktylische Versmaaß.

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Der Daktylus (_ _ _) hat einen geflügelten, hüpfenden Charakter, pgo_228.006
der sich am schärfsten im gleitenden Reim ausprägt. Es ist durchaus pgo_228.007
erforderlich, daß seine beiden Kürzen rein gehalten und nicht Längen pgo_228.008
statt ihrer gesetzt werden; sonst erlahmt der beschwingte Gang des Verses pgo_228.009
augenblicklich. Selbstständig und rein kann er nur in kleineren Gedichten pgo_228.010
benutzt werden. Jm Wechsel mit dem Spondäus bildet er das größere pgo_228.011
epische und elegische Versmaaß.

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a. Zwei- und mehrfüßige Daktylen.
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Christ ist erstanden! pgo_228.015
Freude den Sterblichen, pgo_228.016
Den die verderblichen, pgo_228.017
Schleichenden, erblichen pgo_228.018
Mängel umwanden.
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Goethe.

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Ehret die Frauen, sie flechten und weben pgo_228.022
Himmlische Rosen in's irdische Leben.
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Schiller.

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Jn der Regel werden Strophen gebildet, in denen Verse von verschiedener pgo_228.025
Länge sich ablösen. Die reinen Daktylen eignen sich zur Schilderung pgo_228.026
eines bewegten Naturlebens, einer jubelnden Freude, wie in jenem pgo_228.027
Engelschor des Goethischen Faust. Das "Lüfteleben" schildert Rückert pgo_228.028
malerisch in Daktylen:

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Wär' ich die Luft, um die Flügel zu schlagen, pgo_228.030
Wolken zu jagen, pgo_228.031
Ueber die Gipfel der Berge zu streben, pgo_228.032
Das wär' ein Leben!
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Tannen zu wiegen und Eichen zu schaukeln, pgo_228.034
Weiter zu gaukeln, pgo_228.035
Seele den flüsternden Schatten zu geben, pgo_228.036
Das wär' ein Leben!
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Freiligrath.

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Der Daktylus (_ ‿ ‿) hat einen geflügelten, hüpfenden Charakter, pgo_228.006
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/250>, abgerufen am 26.04.2024.