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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils III Capitel
Zuletzt vergieng die Lust zum Spielen und zum Singen;
Denn als es Abend ward und sie nach Hause giengen,
Hub Damon unterwegens an,
Die Schäferinnen herzuzehlen,
Die sich zu ihrer Lust noch keine Schäfer wehlen.
Er zehlte fast ein Schock auf seinen Fingern her,
Die er zwar nicht gantz völlig kannte,
Doch jeder ihren Buhler nannte.
Drum war die Rechnung gar nicht schwer;
Denn so viel als ich wissen kan,
So sprach er zu Silvandern,
Hat keine Schäferin ein unempfindlich Hertz,
Als bloß die Tochter von Philandern?
Philander, der in unsern Hütten,
Der gantzen grossen Schäfer-Zunft,
Den Preis im Singen abgestritten,
Und dessen Lieder alle lieben,
Die sich als Freunde der Vernunft,
Jm Singen und im Tichten üben.
Denn sieh nur unsre Schäferinnen,
Und nimm dabey in acht,
Wie leicht sie einen lieb gewinnen,
Der sich, wie Jupiter, zum göldnen Regen macht.
Silvander ja, ich wollte wetten,
Wenn wir ein Angesicht, wie Mops, mein Schaaf-Hund, hätten,
Wenn wir im Kopfe dumm,
Am Rücken und an Füssen krumm,
Jn Worten grob, in Sitten heßlich wären,
Und wollten uns dabey nur vor verliebt erklären;
So würden wir doch mit Geschencken,
Die Hertzen aller Schönen lencken.
Allein Philanders muntres Kind,
Jst in der That gantz sonderbar gesinnt.
Jhr Alter ist in schönster Blüte,
Sie hat ein aufgeweckt und zärtliches Gemüthe;
Sie weiß mit allen Leuten,
Recht artig umzugehn;
Sie tantzt und schlägt die Seyten
So unvergleichlich schön,
Daß es nicht anders klingt, als ob sie zaubern wollte.
Da nun ein jeder dencken sollte,
Daß dieser Schönen nichts gebricht,
So fehlet ihr doch eins; denn lieben kan sie nicht.
Kein
Des II Theils III Capitel
Zuletzt vergieng die Luſt zum Spielen und zum Singen;
Denn als es Abend ward und ſie nach Hauſe giengen,
Hub Damon unterwegens an,
Die Schaͤferinnen herzuzehlen,
Die ſich zu ihrer Luſt noch keine Schaͤfer wehlen.
Er zehlte faſt ein Schock auf ſeinen Fingern her,
Die er zwar nicht gantz voͤllig kannte,
Doch jeder ihren Buhler nannte.
Drum war die Rechnung gar nicht ſchwer;
Denn ſo viel als ich wiſſen kan,
So ſprach er zu Silvandern,
Hat keine Schaͤferin ein unempfindlich Hertz,
Als bloß die Tochter von Philandern?
Philander, der in unſern Huͤtten,
Der gantzen groſſen Schaͤfer-Zunft,
Den Preis im Singen abgeſtritten,
Und deſſen Lieder alle lieben,
Die ſich als Freunde der Vernunft,
Jm Singen und im Tichten uͤben.
Denn ſieh nur unſre Schaͤferinnen,
Und nimm dabey in acht,
Wie leicht ſie einen lieb gewinnen,
Der ſich, wie Jupiter, zum goͤldnen Regen macht.
Silvander ja, ich wollte wetten,
Wenn wir ein Angeſicht, wie Mops, mein Schaaf-Hund, haͤtten,
Wenn wir im Kopfe dumm,
Am Ruͤcken und an Fuͤſſen krumm,
Jn Worten grob, in Sitten heßlich waͤren,
Und wollten uns dabey nur vor verliebt erklaͤren;
So wuͤrden wir doch mit Geſchencken,
Die Hertzen aller Schoͤnen lencken.
Allein Philanders muntres Kind,
Jſt in der That gantz ſonderbar geſinnt.
Jhr Alter iſt in ſchoͤnſter Bluͤte,
Sie hat ein aufgeweckt und zaͤrtliches Gemuͤthe;
Sie weiß mit allen Leuten,
Recht artig umzugehn;
Sie tantzt und ſchlaͤgt die Seyten
So unvergleichlich ſchoͤn,
Daß es nicht anders klingt, als ob ſie zaubern wollte.
Da nun ein jeder dencken ſollte,
Daß dieſer Schoͤnen nichts gebricht,
So fehlet ihr doch eins; denn lieben kan ſie nicht.
Kein
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[396/0424] Des II Theils III Capitel Zuletzt vergieng die Luſt zum Spielen und zum Singen; Denn als es Abend ward und ſie nach Hauſe giengen, Hub Damon unterwegens an, Die Schaͤferinnen herzuzehlen, Die ſich zu ihrer Luſt noch keine Schaͤfer wehlen. Er zehlte faſt ein Schock auf ſeinen Fingern her, Die er zwar nicht gantz voͤllig kannte, Doch jeder ihren Buhler nannte. Drum war die Rechnung gar nicht ſchwer; Denn ſo viel als ich wiſſen kan, So ſprach er zu Silvandern, Hat keine Schaͤferin ein unempfindlich Hertz, Als bloß die Tochter von Philandern? Philander, der in unſern Huͤtten, Der gantzen groſſen Schaͤfer-Zunft, Den Preis im Singen abgeſtritten, Und deſſen Lieder alle lieben, Die ſich als Freunde der Vernunft, Jm Singen und im Tichten uͤben. Denn ſieh nur unſre Schaͤferinnen, Und nimm dabey in acht, Wie leicht ſie einen lieb gewinnen, Der ſich, wie Jupiter, zum goͤldnen Regen macht. Silvander ja, ich wollte wetten, Wenn wir ein Angeſicht, wie Mops, mein Schaaf-Hund, haͤtten, Wenn wir im Kopfe dumm, Am Ruͤcken und an Fuͤſſen krumm, Jn Worten grob, in Sitten heßlich waͤren, Und wollten uns dabey nur vor verliebt erklaͤren; So wuͤrden wir doch mit Geſchencken, Die Hertzen aller Schoͤnen lencken. Allein Philanders muntres Kind, Jſt in der That gantz ſonderbar geſinnt. Jhr Alter iſt in ſchoͤnſter Bluͤte, Sie hat ein aufgeweckt und zaͤrtliches Gemuͤthe; Sie weiß mit allen Leuten, Recht artig umzugehn; Sie tantzt und ſchlaͤgt die Seyten So unvergleichlich ſchoͤn, Daß es nicht anders klingt, als ob ſie zaubern wollte. Da nun ein jeder dencken ſollte, Daß dieſer Schoͤnen nichts gebricht, So fehlet ihr doch eins; denn lieben kan ſie nicht. Kein

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/424>, abgerufen am 26.04.2024.